The Dark Pictures: Man of Medan im Test

Entwickler Supermassive Games ist bekannt für Tell-your-own-story-Games wie Until Dawn oder Hidden Agenda. Mit ihrer neuen Anthologie, The Dark Pictures, kehren sie nun zurück zu ihren Horror-Wurzeln und erzählen uns diverse schaurige Kurzgeschichten, deren Verlauf und Ausgang einmal mehr komplett in unserer Hand liegen. Der Start der neuen Serie: ein Abenteuer am Geisterschiff.

Vom Regen in die Traufe

Man of Medan beginnt im China der 1940er-Jahre: Zwei Crew-Mitglieder eines gewaltigen Kriegsschiffes genießen ihren kurzen Landurlaub, gönnen sich ein paar Bier, verprügeln Jahrmarkts-Dummies, lassen sich von einer Wahrsagerin ihre unheilversprechende Zukunft prophezeien und bringen euch, als Spieler, dabei so ganz nebenbei die Steuerung des Titels bei: laufen, umsehen, Dinge aufheben/betrachten und per möglichst schnellem Buttondruck diverse Quick-Time-Events meistern.

Der Landurlaub endet wenige Minuten später eher unerfreulich: Zurück an Bord werdet ihr per Faustschlag ermahnt, dass Alkohol auf hoher See streng verboten ist, und dann auch fix ins schiffseigene Lazarett überstellt, um euch dort auszunüchtern, bis ihr fit genug für ein paar Tage im Schiffsknast seid. Was auch immer – erst mal ne Runde schlafen. Und was folgt in Horror-Games auf schlafen? Genau, das böse Erwachen …

Ein schauriges Geräusch reißt euch mitten in der Nacht aus dem Schlaf: Irgendwas auf dem Schiff geht so gar nicht mit rechten Dingen zu. Euer Verdacht wird bestätigt, als ihr feststellt, dass einige andere Besatzungsmitglieder bereits das Zeitliche gesegnet haben: In fürchterlichen Posen, als wären sie aus purer Angst gestorben, oder mit fatalen Schusswunden, abgefeuert aus ihren eigenen Waffen, starren sie euch entgegen. Euer Saufkumpan gehört noch nicht zu den Opfern, also befreit ihr ihn aus seiner Zelle und macht euch gemeinsam dran, das Schiff zu erforschen – bis ihr plötzlich Kinderlachen vernehmt und schattenhafte Gestalten durch die Stahl-gesäumten Gänge des Schiffes huschen seht. Wtf? Im Frachtbereich des Schiffes wird aus dem Alptraum schließlich Realität: Euer Kumpel verschwindet, Schreie folgen und aus Schatten werden Sekunden später greifbar Monster, die unseren Charakter demselben Schicksal aussetzen, wie seinen Kollegen. Game Over – zumindest zunächst.

Tauchtrip mit Folgen

Von hier an springt das Geschehen in die Gegenwart zu unseren eigentlichen Hauptcharakteren: Alex, dessen smarter Bruder Brad, seine Verlobte Julia und deren Bruder Conrad planen einen Tauchtrip zu einem bislang unentdeckten Wrack und haben dafür Fliss angeheuert, die Kapitänin der kleinen Yacht Duke of Milan. Der Bootstrip beginnt idyllisch, doch schnell gehen die Dinge den Bach hinunter, und bevor ihr euch verseht, stecken alle Charaktere in größeren Schwierigkeiten, als sie erahnen hätten können – und Geister sind dabei nur eines ihrer Probleme.

Wie bereits in Until Dawn, entscheiden eure Handlungen während der Story, wer der fünf Protagonisten, die ihr abwechselnd übernehmen dürft, die Geschehnisse des Spiels überlebt. Jede Dialogoption katapultiert die Gruppe in bestimmte Richtungen, beeinflusst ihre Beziehungen untereinander, prägt ihre individuellen Persönlichkeiten und eröffnet euch demnach neue Möglichkeiten und Storypfade. Die rund vier bis fünf Stunden lange Story kann somit jeglichen Ausgang nehmen – von durchwegs positiv, so ganz ohne Todesfälle, bis vollkommen fatal.

Hinweise auf mögliche Ausgänge geben euch Bilder, die ihr während des Spiels finden könnt, und die euch kurze Visionen von möglichen Zukunftsverläufen geben. Interpretiert ihr diese richtig, dürft ihr mitunter gezieltere Entscheidungen treffen – zumindest dann, wenn es euch auch gelingt, die regelmäßigen Quick-Time-Events zu meistern. Verpatzt ihr diese, endet dies im Normalfall nämlich eher schlecht für euch bzw. euren aktuellen Charakter.

Ein Schiff voller Geheimnisse

Während eurer Erkundungstouren durch das Wrack und später das Geisterschiff findet ihr jede Menge „Geheimnisse“ in Form von Dokumenten, Verblichenen, die ihr untersuchen könnt, Abzeichen, Logbüchern und mehr, die euch allesamt mehr darüber erzählen, was auf dem Schiff eigentlich passiert ist, und so nach und nach das Mysterium der gruseligen Ereignisse dort aufklären.

All diese kleinen Tidbits zu finden, ist quasi das Spiel im Spiel, und braucht vermutlich auch mehrere Durchläufe der Geschichte – was uns zum wohl coolsten Side-Feature von Man of Medan bringt: dem Multiplayer-Modus bzw. den Multiplayer-Modi. Wer den Titel alleine durchspielen möchte, der kann dies natürlich tun, ihr habt aber genauso die Möglichkeit, Man of Medan entweder mit einem zweiten Freund online zu zocken oder im Couch-Multiplayer sogar mit bis zu vier weiteren Spielern im Team in Angriff zu nehmen, wobei dann jeder von euch seinen eigenen Charakter steuert.

Das gemeinsame Zocken macht dabei nicht nur richtig Spaß, es nimmt auch maßgeblich Einfluss auf das Spielgeschehen: Während ihr euch im Solo-Modus nämlich darauf verlassen könnt, dass eure jeweiligen KI-Partner bestimmte Aktionen durchführen, sind eure menschlichen Kumpanen genauso unberechenbar wie ihr selbst und führen euch somit mitunter auf Story-Pfade, die ihr alleine nie entdeckt hättet. In anderen Worten: Wiederspielwert enorm – selbst dann, wenn ihr die eigentliche Story schon durch und das eigentliche Geheimnis des Geisterschiffs schon aufgedeckt habt.

Kleine Technikhacker

Gleich vorweg: Audiovisuell präsentiert sich Man of Medan zum allergrößten Teil fantastisch. Die Grafik und Animationen sind dank Mo-Cap tatsächlicher Schauspieler gelungen, das Voice-Acting durchwegs großartig und auch das Sounddesign schafft es, die gruselige Atmosphäre der Story perfekt zu unterstreichen. Einige kleine Probleme gibt es dann aber doch: Die Steuerung ist durch das ganze Game hindurch etwas sperrig, Aktionspunkte werden oft nur sicht- bzw. anwählbar, wenn man an ganz bestimmten Positionen steht, und während meines Tests hatte ich auch zwei Mal kleine Grafik-Glitches, die in Dialogen seltsame Linien durch das Bild huschen ließen (die mit Geistern übrigens nichts zu tun hatten). Während ich über letztere dabei problemlos hinwegsehen konnte, war die sperrige Steuerung, gerade beim oft zeitkritischen Erkunden der Umgebung, ab und an doch sehr mühsam. Hier könnte die Serie im nächsten Eintrag eindeutig noch nachbessern.

FAZIT

Als großer Fan von Tell-your-own-Story-Games sowie Until Dawn habe ich mich auf Man of Medan ganz besonders gefreut und im Großen und Ganzen habe ich auch genau das bekommen, was ich mir erhofft hatte: eine (trotz ein wenig zu häufig eingesetzter Jump-Scares) atmosphärische Gruselstory mit reichlich Storypfaden, sympathischen Charakteren und – größtenteils – schöner Präsentation. Die Spielzeit von gerade einmal vier bis fünf Stunden ist zwar nicht sonderlich lange, allerdings lange genug, und dank des hohen Wiederspielwerts (multiple Enden/Pfade, Multiplayer-Modi, Geheimnis-Jagd) gibt es schließlich auch nach dem erstmaligen Abschluss der Hauptstory noch genug zu tun und entdecken. Unbedingt nachbessern sollte Supermassive Games für den Folgeteil der Anthologie lediglich an der störrischen Steuerung, die immer wieder für kurze Frustmomente sorgt. Vom Kauf abschrecken lassen muss sich davon aber niemand. Alles in allem ist Man of Medan eine gelungene Fortsetzung des Supermassive-Konzepts und ein toller Einstieg in die Dark Pictures-Serie, auf deren zweiten Teil ich mich schon jetzt freue.

Was ist The Dark Pictures: Man of Medan? Atmosphärische Tell-your-own-Story-Horror-Abenteuer der Until Dawn-Macher
Plattformen: PS4, XBox One, PC
Getestet: PS4-Version
Entwickler / Publisher: Supermassive Games / Bandai Namco
Release: 30. August 2019
Link: Offizielle Webseite

Gesamtwertung: 8.4

Einzelwertungen: Grafik: 8 | Sound: 10 | Handling: 6 | Spieldesign: 8 | Motivation: 10

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