The Last of Us Part II im Test

Mitgefühl, Empathie, Moral – dass diese unser Handeln führen sollten, scheint nur in einer heilen Welt zu funktionieren. Sobald diese jedoch in Asche liegt, sterben jene Ideale und wir beginnen damit, uns gegenseitig zu zerreißen. Im Kampf ums Überleben ist die einzige Grenze zwischen Gut und Böse oft nur die eigene Perspektive. So löschen wir ohne Skrupel das Leben anderer aus, fügen Schmerz und Leid zu, nehmen Unschuldigen die Zukunft und fühlen kein Mitleid. Gibt es auf dieser Welt etwas Gefährlicheres als einen Menschen, der sich im Recht sieht und dadurch absolute Grausamkeit für sich rechtfertigen kann? Diese Frage, und viele mehr, wird euch The Last of Us Part II stellen.

Ein mutierter parasitärer Pilz hatte vor zwei Jahrzehnten, quasi über Nacht, mehr als 70% der Weltbevölkerung infiziert und in willenlose Wirte für sich verwandelt. Die Infizierten, oder Runner, wie sie die wenigen Überlebenden nennen, sind hoch aggressiv, schnell und optimal auf die Verbreitung des Parasiten ausgelegt. So besiegelt der Biss eines Trägers das tragische Schicksal des Opfers – ein zerstörerischer Kreislauf. Lange schien es keine Heilung zu geben, bis eines Tages ein junges Mädchen gebissen wurde, doch die Infektion ausblieb. Ellie, so ihr Name, war immun und sie könnte der Schlüssel zu einem Impfstoff sein. Gemeinsam mit dem Schmuggler Joel begab sie sich auf eine Reise quer durch die USA, um in einem Labor ihrer Immunität auf den Grund zu gehen.

Fünf Jahre sind seither vergangen. Ellie und Joel führen in der Siedlung Jackson ein relativ beschauliches Leben. Dank guter Verteidigungsstrukturen und regelmäßigen Patrouillen herrscht Frieden in der kleinen Stadt. Das einst überdrehte und freche Mädchen ist inzwischen 19 Jahre alt, genießt so gut sie kann ihr Leben, zeichnet, komponiert und beginnt ihre Gefühle für Diana, eine langjährige Freundin, zu entdecken. Eines Tages kommt es allerdings zu einem schrecklichen Zwischenfall und Ellie begibt sich, von Kummer getrieben, auf einen brutalen Feldzug genährt durch Trauer, Blut und einem unendlichen Durst nach Rache!

Auge um Auge und die Welt ist bald blind…

The Last of Us Part II setzt die Geschichte des viel gelobten, und von mir abgöttisch geliebten, ersten Teils fort. Das Spiel wählt dabei Pfade die mutig, unerwartet und, wie man leider im Netz sieht, auch kontrovers diskutiert werden. Im Kern ist The Last of Us Part II eine Rache-Geschichte, doch ist dies nur der Rahmen einer Erzählung, welche in ihrer Struktur so viel mehr bietet. Es ist eine Geschichte über Väter, Töchter und Vergebung. Es ist eine Geschichte über den zerstörerischen Kreislauf der Gewalt.

Gewalt ist die Schiene, auf welcher sich das Narrativ von The Last of Us Part II bewegt. Naughty Dog geht dabei bis an die Grenzen des erträglichen und zwingt den Spieler sein Handeln zu reflektieren. Manche kritisieren, dass The Last of Us Part II den Sinn von Gewalt anzweifelt, aber gleichzeitig dem Spieler die Möglichkeit aus der Hand nimmt, sich dagegen zu entscheiden. Eine Kritik, welche ich nach ca. 25 Spielstunden absolut nicht nachvollziehen kann. Dies ist die Geschichte eines Menschen, welcher sich aufgrund der Tatsache, dass er sich im Recht sieht, immer mehr in Gewalt und Grausamkeit verliert. Der Spieler weiß, was er da tut, und muss hilflos Zeuge der von ihm ausgeführten Brutalität werden.

Dies ist ein Ansatz, welchen ich sehr spannend finde. The Last of Us Part II hinterfragt das Morden und Quälen unserer Gegner, die selten nicht mehr wollen als selbst am Leben zu bleiben. Das hinterlässt einen sehr fahlen Beigeschmack – und das ist gut so! Als Nathan Drake töten wir in Uncharted ganze Legionen, nehmen Müttern ihre Söhne, Töchtern ihre Väter und in der nächsten Cut-Scene wird ein heiterer Spruch vom Stapel gelassen als wäre nichts gewesen. The Last of Us Part II ist da anders. Es ist reflektierend und das rechne ich Naughty Dog hoch an!

Wunderschöne Abgründe

In Sachen Gameplay verändert The Last of Us Part II nicht viel zu seinem Vorgänger. Viel mehr nimmt es das ohnehin gut funktionierende Fundament und baut es mit diversen Feinschliffen weiter aus. Ellie ist mit ihren 19 Jahren um einiges agiler als Joel. So geht es in der Erkundung der diesmal weitläufigeren Areale auch öfter in die Vertikale, es wird viel geklettert und gesprungen. Auch wenn die junge Frau um einiges gewandter als ihr Ziehvater ist, nehmen die Sprung- und Kletterpassagen dabei jedoch nie eine so prominente Rolle wie zB. in Uncharted ein.

Die Auseinandersetzungen mit unseren Kontrahenten gehören mit zum Spannendsten, was ich seit langem auf der PlayStation erleben durfte. Ich bin ein begeisterter Schleicher und da läuft The Last of Us Part II zur Höchstform auf. Die diversen Fraktionen agieren äußerst clever und werden erbarmungslos Jagd auf unsere „Heldin“ machen. Nicht einmal in der Botanik oder unter dem Auto ist man zu 100 Prozent sicher. Das liegt daran, dass unsere Verfolger diesmal auf Hunde zurückgreifen können. Diese folgen unserer Fährte und können uns auch in den abgelegensten Winkeln aufspüren. Gleichzeitig halten mir die Vierbeiner einen gewaltigen Spiegel vor. Während ich bei menschlichen NPCs relativ abgestumpft bin, was die Gewalt angeht, und in Spiel wie Film abgetrennte Gliedmaßen mit einem resignierten Achselzucken hinnehmen kann, fällt es mir bei Haustieren wesentlich schwerer, die nötige Brutalität aufzubringen um die Auseinandersetzungen zu überleben. Hier spielt Naughty Dog geschickt mit den Perspektiven. Was auf der einen Seite „nur“ ein blöder Hund ist, ist auf der anderen ein hochliebenswertes Wesen, dass sich nur Zuneigung und Anerkennung wünscht. Ein Faktum, welches dafür sorgte, dass ich schlucken und den Controller zur Seite legen musste.

Unterstrichen wird das Ganze von einem mörderisch guten Score, den abermals der argentinische Komponist Gustavo Santaolalla besteuert. Von ruhigen Klängen bis zu treibenden Bässen während der Scharmützel ist alles dabei. Einzig das ikonische Theme von The Last of Us hätte ich gerne öfter gehört.

Eine Geschichte, die ans Herz geht

So brutal und finster The Last of Us sein kann, so stark wirkt der Kontrast zu den herzlichen und ruhigen Momenten – und diese gibt es zuhauf. Gerade die Szenen mit Ellie und Joel bringen unglaubliche Wärme und Herz in die düstere Erzählung. Das liegt vor allem am exzellenten Writing. Die Figuren sind glaubhaft, die Dialoge sitzen und die jeweilige Motivationen sind oft erschreckend nachvollziehbar.

Ein anderer Aspekt ist die Grafik. Ich denke ich werde mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, wenn ich sage, dass The Last of Us Part II eines der optisch schönsten Titel dieser Generation ist. Die Mimik der Figuren ist unglaublich und man kann in ihren Augen sehen, was sie fühlen, ohne das ein Wort gesagt wird. Die Welt in The  Last of Us Part 2 steckt voller Liebe zum Detail und überzeugt durch und durch.

FAZIT

Sieben Jahre habe ich auf The Last of Us Part II gewartet, mit Hoffnung aber auch Ängsten. Der erste Teil hat mich tief bewegt und seine Spuren in mir hinterlassen, meinen Anspruch an Computerspiele verändert. Kann eine Fortsetzung einem solchen Epos gerecht werden? Jetzt, nach einer Spielzeit von gut 25 Std., kann ich sagen: Ja! The Last of Us Part II erzählt eine düstere Rache-Story, die mich in ihrer Kompromisslosigkeit kalt erwischt hat. Naughty Dog geht dabei nicht den einfachen Weg, sondern bricht mutig mit Tabus. Nicht jede Entwicklung hat mir auf Anhieb gefallen, doch jetzt mit dem Gesamtbild vor Augen, kann ich mich immer mehr damit anfreunden und verstehe, was damit beabsichtigt wurde. The Last of Us Part II ist auch in der Gewaltdarstellung ein hartes Brett und geht mit seinem Realismus ziemlich an die Nieren. Wenn unsere Gegner vor Schmerzen schreien, oder einen gefallenen Kameraden oder Hund betrauern, merken wir, dass wir es nicht nur mit Schießbudenfiguren zu tun haben. Zwischen Gut und Böse liegt oft nur die eigene Perspektive, das hat mir noch kein Game so frontal vermittelt wie The Last of Us Part II. Sicherlich, wenn ich ganz streng wäre, könnte ich eventuell bekritteln, dass sich seit Teil eins in Sachen Gameplay kaum etwas geändert hat, aber es macht mir heute wie damals ziemlichen Spaß und das vollzogene Feintuning bringt noch mehr Dynamik ins Geschehen. Für mich ist The Last of Us Part II der beste exklusive Titel dieser Konsolen-Generation. Mutig, reflektierend, mit viel Herz und absolut erbarmungslos.

Was ist The Last of Us Part II? Die Fortsetzung eines der besten Games aller Zeiten!
Plattformen: PS4,
Getestet auf: PS4 Pro
Entwickler / Publisher: Naughty Dog/ Sony Interactive Entertainment
Release: 19. Juni 2020
Link: Offizielle Webseite

Gesamtwertung: 9.6

Einzelwertungen: Grafik: 10 | Sound: 10 | Handling: 8 | Spieldesign: 10 | Motivation: 10

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