Gollum ist auf der Suche nach seinem Ring, seit 25. Mai auch am PC (Steam, Epic Store) und auf Konsolen. The Lord of the Rings: Gollum™ ist die größte Computerspiel-Lizenz, die jemals in Deutschland entwickelt wurde. Und das von einem kleinen Team. Das kann doch nur gutgehen, oder?
Entwickelt und herausgebracht wurde The Lord of the Rings: Gollum™ von Daedalic Entertainment aus Hamburg gemeinsam mit NACON. Daedalic Entertainment wurde mit selbst entwickelten Point and Click Adventures groß (Deponia, Edna & Harvey und viele weitere), hat sich in den letzten Jahren aber von dem Genre (weitgehend) abgewandt und vor allem als Publisher diverser Dritt-Studios eine Menge anderer Genres (mit sehr unterschiedlichem Erfolg) bedient. Generell war die Qualität aber durchaus brauchbar, mir persönlich haben Spiele wie Partisans 1941, Barotrauma oder Shadow Tactics: Blades of the Shogun viel Spaß gemacht. Das neueste von Daedalic Entertainment entwickelte und herausgebrachte Werk ist nun The Lord of the Rings: Gollum™ – und die Kritiken auf Steam sind aktuell vernichtend. Was ist hier passiert?
Who the Fuck is Gollum?
Gollum ist ein Nebencharakter aus der „Herr der Ringe“ Saga von J. R. R. Tolkien, dem wohl bedeutendsten Fantasy Epos des letzten Jahrhunderts. Eigentlich wurde Gollum bereits im als Kinderbuch gedachten Vorgänger „Der Hobbit“ aus dem Jahr 1937 eingeführt, aber er hat auch in der Jahre später erschienenen Saga noch eine bedeutende Rolle. Gollum war eigentlich ein Hobbit namens Sméagol, der einen Verwandten umgebracht hat um dessen Ring zu stehlen, den dieser aus dem Fluss gefischt hat. Der Ring war natürlich magisch, und beschert seinem Träger einerseits übernatürliche Kräfte und ein langes Leben, aber er zerstört auch dessen Körper und Geist und macht den Träger völlig abhängig von ihm. Es war eben „der Ring“ aus der Herr der Ringe Saga, der mächtigste aller magischen Ringe, erschaffen von Lord Sauron, um alle anderen Ringe (bzw. deren Träger) zu beherrschen. So hat auch Sméagol von dem Ring nur als „sein Schatz“ gesprochen. Sméagol’s Beziehung zum Ring wurde eine Art Hassliebe, einerseits konnte er nicht von ihm ablassen, andererseits war ihm auch irgendwie klar, dass er aufgrund des Ringes zu einer deformierten Kreatur wurde, die viele abscheuliche Dinge getan hat. Gollum war hin- und hergerissen zwischen seiner Gier nach dem Ring und seinem Wunsch, sich von ihm zu befreien. Nach vielen Jahrhunderten konnte Sméagol kaum noch reden, und bekam aufgrund seiner gurgelnden, zischenden Sprache den Namen Gollum. Er lebte zurückgezogen in den Höhlen eines Berges, bis ihm sein Ring vom Hobbit Bilbo Baggins abgenommen wurde. Gollum hat daraufhin seine Höhle verlassen, immer auf der Suche nach seinem Ring. Nunja, Kenner des Romans (bzw. der Verfilmungen von Peter Jackson) wissen ja, wie das geendet hat. Aber keine Spoiler hier – außer das das Spiel drei mögliche Enden hat.
Besessen vom Ring der Macht
Gollum ist eine überaus interessante, ziemlich abstoßende Figur. Sein Bekanntheitsgrad ist daher auch deutlich größer, als man es von einer Nebenrolle in der Herr der Ringe Saga erwarten durfte. Ein kleiner, verformter Gnom, der völlig abgeschieden im Dreck lebt, sich von rohem Fleisch ernährt und mit zischelnden Lauten kommuniziert. Sein Geist ist vollkommen besessen von „seinem“ Ring, und er tut alles, um den Ring in seinem Besitz zu halten. Gollum ist trotz seines verformten Körpers und der kleinen Körpergröße sehr kräftig. Er kann hervorragend klettern, weit springen und kämpft ohne Rücksicht auf Verluste… wenn er kämpft. Er ist kein Kämpfer. Er ist kein Magier. Die Gespräche mit ihm geben auch nicht gerade viel her. Er schleicht durch die Gegend, und wenn er tötet, dann aus dem Hinterhalt. Wie bekommt man das in ein spannendes Spiel? Daedalic Entertainment hat sich für ein story-fokussiertes Abenteuer entschieden. Klettern, springen, schleichen. Mal schauen, ob das für ein spannendes Spiel reicht.
„One Ring to rule them all, One Ring to find them, One Ring to bring them all and in the darkness bind them.“
Gollum klettert an Wänden ähnlich wie Enzio aus Assassin’s Creed (oder hunderte weitere Kletterkünstler aus nachfolgenden Spielen). An (markierten) Wänden läuft er entlang wie in Titanfall. Manche Wände kann er sogar senkrecht nach oben laufen, wenn er direkt auf sie zu sprintet. Mit Anlauf kann Gollum auch größere Abgründe überspringen. Gollum ist auch ein hervorragender Schwimmer und Taucher. Wenn uns ein Gegner entdeckt oder sollte ein Sprung tödlich (im Abgrund) enden, spielen wir vom letzten automatischen Speicherpunkt wieder. Manche Gegner können von hinten erwürgt, oder mit Steinen abgelenkt werden. Sind wir verletzt, benötigen wir Essen um unsere Gesundheit wiederherzustellen. Dank Gollum’s geschärfter Sinne können wir Gegner durch Wände hindurch sehen, sie zeigen uns auch den Weg, wenn wir uns verirrt haben. Wenn wir an bestimmten Stellen (im hohen Gras, unter dem Tisch,…) komplett unsichtbar sind, wir dies durch gelb leuchtende Augen des vollkommen schwarz gewordenen Gollum visuell signalisiert. Die Schleichpassagen haben mich sehr an Styx: Shards of Darkness erinnert, da spielen wir auch einen kleinen, fiesen Typen, der sich von den stärkeren Gegnern nicht erwischen lassen sollte.
Eigentlich funktionieren diese Kletter- und Stealth-Teile des Spieles gar nicht so schlecht, allerdings habe ich keine Möglichkeit gefunden, den Sichtwinkel (FoV) zu vergrößern oder die an Gollum klebende automatische Kamera ein wenig weiter weg zu bewegen. Die Übersicht ist also teilweise nicht gerade berauschend. Gollum schaut übrigens optisch so aus, wie er von Peter Jackson in seinen Filmen dargestellt wurde.
Gollum’s Geschichte
Die Geschichte von The Lord of the Rings: Gollum™ wird aus der Retroperspektive erzählt. Wir befinden uns in Gewahrsam vom Zauberer Gandalf, der uns zu vergangenen Ereignissen im Zusammenhang mit dem Ring befragt und wir erzählen, was vorgefallen ist. Die Story orientiert sich dabei an den Büchern, greift allerdings Details auf, die dort nur erwähnt oder angedeutet wurden und noch nie im Detail erzählt wurden. Das Spiel beginnt nach dem Ende von „Der Hobbit“ und zeigt, was mit Gollum auf seiner Reise zwischen dem Verlassen des Nebelgebirges und dem ersten Buch von Der Herr der Ringe widerfahren ist. Wir erleben, wie Gollum als Sklave in die Orkminen verschleppt wird, klettern auf den Turm von Barad-dûr in der Dunklen Festung von Mordor und schleichen durch Cirith Ungol oder die Verließe des Elbenkönigs Thranduil.
Zusammenfassung Rüdiger
Grafik
Auch wenn das Spiel auf höchster Auflösung meine Grafikkarte überlastet, sind die Grafiken grundsätzlich nicht umwerfend. Allerdings meiner Meinung nach längst nicht so übel, wie es in einigen Kritiken zu lesen ist.
Sound
Die Musik und vor allem Sprachausgabe sind durchwegs hochwertig, die Sprecher sind an die Filmvorlage angelehnt und erfüllen ihre Aufgaben gut. Die Musikuntermalung schafft eine dem „Herr der Ringe“ entsprechende Atmosphäre.
Handling
Das Handling von Gollums Spezialsinnen und seinen Bewegungen ist relativ einfach und gerade Assassins Creed Spieler finden sich schnell zurecht. Etwas mehr Infos, was wann zu tun ist, wären jedoch hilfreich.
Spieldesign
Beim Spieldesign hapert es durchaus etwas, großzügig könnte man es Old School nennen. Keine Minimap, nur ein kleiner Quest Marker, der viel zu leicht übersehbar ist, bzw. in der Aufregung gerne verschwindet. Zusammen mit einer nicht immer zielgenauen Steuerung und klaren Aufgabenstellung mündet dies in so manchem totem Gollum.
Motivation
Kann man über die Schwächen des Spiels hinwegsehen und sich auf die Geschichte konzentrieren, so liefert Daedalic durchaus einen interessanten Einblick in die Zeit vor „Herr der Ringe“, hier auch unter anderem ein Besuch in Mordor, wie man es zuvor noch nicht kennengelernt hat.
FAZIT
Gollum? Wer benötigt ein Spiel über den kleinen schizophrenen Schleimer? Das war, gebe ich zu, einer meiner ersten Gedanken, bei Ankündigung von Daedalic. Ganz, wie es auch so mancher Herr der Ringe „Fan“ auch heute noch in seiner Kritik zum Ausdruck bringt. Als guter Spiele Redakteur behält man sich aber eine gewisse Offenheit im Geiste (oder sollte dies zumindest tun), also gab ich Smeagol eine Chance. Ganz ehrlich gesagt, hat mich die Story hierzu, sowie die Präsentation des Charakters Gollum auch ziemlich schnell gepackt. Erzählt es doch die Vorgeschichte der berühmten Büchertrilogie, mit der Gefangennahme Gollums und den Entwicklungen hin zu der berühmten Geschichte. Ein netter Twist ist es auch, die gespaltene Persönlichkeit Gollums zum Thema zu machen und Spieler:innen entscheiden zu lassen ob Smeagol oder doch Gollum in einigen Entscheidungen obsiegen. Wer also ein wirklicher Fan der Geschichte ist und eine hohe Frusttoleranz besitzt, kann sich ruhig in die Tiefen Mordors begeben.
Zusammenfassung Sven
Grafik
Die Grafik ist… nunja, sie ist vor allem dunkel. Und bei weitem nicht so detailliert, wie wir sie von anderen AAA-Produktionen kennen. Sie erinnert an Spiele auf älteren Konsolen, natürlich nicht an Spiele auf dem Atari VCS, aber durchaus an die PlayStation 2 oder XBox der zweiten Generation. Um fair zu bleiben muss man aber sagen, dass auch hohe Auflösungen (4K) unterstützt werden und das Spiel auch mit Ultrawidescreen läuft. Ebenso unterstützt wird Nvidia DLSS, DLAA, Ray-Tracing oder eine detaillierte Haar-Simulation von Gollum. Die für das Funktionieren des Spieles mindestens notwendige Hardware ist eine Nvidia GTX 1060 mit 6GB oder eine AMD Radeon R9 290X mit 4GB dezidiertem Grafikspeicher. Dazu ein PC mit 8 GB Hauptspeicher. Schon auf nur mittleren Grafikeinstellungen braucht ihr aber eine NVIDIA GeForce RTX 3070 mit 8GB oder eine AMD Radeon RX 6750 XT mit 12GB! Habt ihr eine NVIDIA der aktuellen Generation (40xx), könnt ihr auch DLSS 3 aktivieren.
Ich habe auf meiner NVIDIA 3070 mit 12 GB Grafikspeicher, mit einem Ryzen 5 5600X Prozessor und 64 GB Hauptspeicher unter 3440×1440 zu erst alle Einstellungen auf das Maximum gedreht. Das Ergebnis war erschreckend – so eine Ruckelorgie habe ich nicht mehr erlebt, seit ich Red Baron auf meinem Amiga 500 ohne Turbokarte spielen wollte. Vollkommen unspielbar. Hier hilft nur runterschrauben, und zwar deutlich, vor allem Ray-Tracing. Dann schaut es immer noch brauchbar aus und läuft auch halbwegs ruckelfrei.
Sound
Ihr könnt The Lord of the Rings: Gollum™ sowohl auf deutsch als auch mit englischer Sprachausgabe spielen. Gollum führt regelmäßig Selbstgespräche und argumentiert zwischen seinen beiden Persönlichkeiten. Die Texte sind auch in weitere Sprachen übersetzt worden, Untertitel zuschaltbar. Die Hintergrundsounds sind gut gemacht und tragen zur Atmosphäre bei.
Handling
Das ideale Steuergerät für The Lord of the Rings: Gollum™ ist wohl der Controller, und am PC gab es keine Probleme mit dem XBox One Gamepad. Maus und Tastatur ist ebenfalls möglich, wobei die Tasten frei belegbar sind. Das Spiel ist in zehn Kapitel unterteilt, in denen die Geschichte um Gollum’s Überleben und seine Suche nach dem einen Ring erzählt wird. Die Kapitel können, sobald freigeschalten, auch direkt angewählt werden. Insgesamt dauert das Durchspielen – falls ihr nicht von einem Bug ausgestoppt werdet – rund fünfzehn Stunden.
Leider ist das Spiel voll mit Fehlern. So viele, dass die Entwickler direkt nach Release eine offizielle Entschuldigung veröffentlicht haben, in der sie Nachbesserung versprechen. Ich hoffe, dass damit zumindest die technischen Unzulänglichkeiten entfernt werden.
Spieldesign
Eurer Charakter besitzt eine gespaltene Persönlichkeit – spielt ihr den bösartigen Gollum oder den vorsichtigen Smeagol? Unterschiedliche Vorgehensweisen sind möglich, was ja durchaus positiv ist. Es kommt immer wieder zu Argumentationen mit euch selbst, bei denen ihr Selbstgespräche führt und in Multiple-Choice Antworten über euer weiteres Vorgehen entscheidet. Die Ergebnisse dieser inneren Konflikte beeinflussen die weitere Geschichte mit manchmal verheerenden Folgen für das Schicksal bestimmter Figuren.
Es gibt keine wirkliche Charakterentwicklung, keine Fähigkeitsbäume, kein Inventar oder zumindest interessante Waffen mit neuen freischaltbaren Kombos. Ihr spielt durch die relativ lineare Geschichte von Gollum, wie er gefangen genommen wird, frei kommt, wieder gefangen genommen wird und zwischendurch einfache Aufgaben erfüllt oder simple Rätsel löst. Ein wenig klettern und schleichen, den Selbstgesprächen eures Charakters lauschen, ein paar andere Figuren belauschen, viel mehr bietet The Lord of the Rings: Gollum™ nicht.
Motivation
In den ersten paar Kapiteln des Spiels verbringt Gollum einen Großteil seiner Zeit damit, Schlauchlevels entlang zu laufen (und klettern) und Sklavenarbeiten zu erledigen. Als lebender Köder Bestien in ihr Gatter zu locken, einen Vogel ausbrüten… lauter sehr lineare Aufgaben. Allerdings können sich Fans der Originalvorlage immer wieder an Anspielungen auf die Bücher erfreuen, oder an der grafischen Gestaltung von bestimmten Orten in Mittelerde, oder den Kurzauftritten bekannter Figuren. Ob das genug Motivation bietet, der Geschichte von Gollum’s Gefangenschaft bei den Orks oder Elben zu folgen, kann ich jedoch nicht beantworten. Das eigentliche Gameplay ist jedenfalls nur sehr durchschnittlich.
FAZIT
Fans der Herr der Ringe Saga können The Lord of the Rings: Gollum™ durchaus eine Chance geben. Es macht Spaß, die Story aus der Sicht von Gollum zu erleben. Allerdings sollten die Erwartungen realistisch bleiben. The Lord of the Rings: Gollum™ wurde von einem kleinen Team entwickelt, und das sieht man. Die Grafikqualität und Detailfülle ist weit entfernt von aktuellen AAA-Releases. Auch das Spielprinzip ist limitiert, es ist sicher nicht jedermanns Sache, als Gollum durch die Levels zu laufen, springen, klettern und schleichen, Selbstgespräche zu führen und sich über die viel zu nahe am Körper klebende Kamera zu ärgern, ohne viel am Charakter verbessern zu können. Und da wären noch die Fehler, von denen The Lord of the Rings: Gollum™ zu Release einige abbekommen hat. Clippingfehler können ja noch lustig sein, aber wenn ich ein Kapitel komplett neu starten muss wird es mühsam. Hier kann man nur darauf hoffen, dass die Entwickler die gröbsten Showstopper noch aus dem Spiel entfernen.