The Walking Dead: Saints & Sinners im Test

Zombies sind im Jahr 2020 noch beinahe so frisch wie die Menschen, die sie einst waren – das heißt aber nicht, dass es nicht dennoch noch so manches richtig gute Zombiespiel in die Regale schaffen kann …

Kein Voodoo, dafür VR

Mal zugegeben: Wer hat die letzten Staffeln The Walking Dead noch wirklich mit Spannung mitverfolgt? Wenn es euch wie mir geht, dann war die Luft irgendwann zwischen Negans Doppelmord-Massaker und dem unspektakulären Tod einiger weiterer über Staffeln hinweg liebgewonnener Charaktere eindeutig raus und das Thema Walkers somit endgültig vom Tisch – und dann kam Saints & Sinners.

Wer meine Beiträge hier verfolgt oder mich sogar persönlich zu seinen Bekannten zählen darf, der weiß, dass es kaum etwas gibt, das in Sachen Games so schnell mein Interesse weckt wie gut umgesetzte VR-Games. Spielewelten nicht nur via Bildschirmfenster zu beobachten, sondern in voller 360-Grad-Virtual-Reality selbst zu erleben, haucht einfach neues Leben in so gut wie jedes Konzept, egal wie alt oder ausgelutscht es auf den ersten Blick erscheinen mag. Also Headset auf und einmal mehr rein in die Zombie-Apokalypse, um die Untoten auf Herz und Nieren zu testen – sofern sie diese noch haben.

Schon alleine beim Setting kommt hier Hoffnung auf: Anstatt sich zu sehr an die Serie zu heften, entschied man sich dafür, einen vollkommen neuen Charakter – den Touristen – einzuführen, der unglücklicherweise im Walker-verseuchten New Orleans feststeckt und nur einen einzigen Ausweg aus seiner Misere sieht: das Äquivalent des Versprochenen Landes der Zombie-Apokalypse zu finden, The Reserve – ein sagenumwobenes Depot mit allem, was man braucht, um den verwesenden Massen dauerhaft zu entkommen. Also machen wir uns auf, genau dieses zu finden, ohne dabei zum unglücklichen Snack zu werden.

Sandbox-Abenteuer im Reich der Untoten

Im Laufe eurer verzweifelten Suche erkundet ihr eine Spielregion nach der anderen und verbringt einen Großteil eurer Zeit damit, Missionen für diverse NPCs zu erledigen, euch noch lebenden Faktionen anzuschließen oder diese auf diverseste Art gegen euch aufzubringen und – natürlich – Walker auszuschalten. Und hier kommen wir auch schon zum Höhepunkt von Saints & Sinners: das Gefühl an Freiheit in Kombination mit einem richtig gelungenen Kampfsystem.

Auch wenn euch die rund 12 bis 15 Stunden lange Kampagne immer wieder in Richtung spezieller Herausforderungen schickt, bleibt euch jede Menge Raum, um sämtliche Karten des Spiels von eurer Bus-Basis am lokalen Friedhof aus zu erforschen, euch in die widersinnigsten Situationen zu bringen, so manchem Nun-Zombie auf Wunsch seines Damals-Lebenspartners den Garaus zu machen und selbst herauszufinden, wie man aus Hirn-Connaisseur am effektivsten Hirn-Brei macht.

Zur Verfügung steht euch dabei eine Vielzahl an Waffen – von euren eigenen Fäusten über Messer und Schusswaffen bis hin zu Serienfans bestens bekannten Baseball-Schlägern mit Stacheldraht, Äxten und mehr –, und dank VR-Steuerung mit den beiden Handcontrollern fühlt sich auch so gut wie jede davon wundervoll realistisch an: Kämpft ihr mit Pfeil und Bogen, müsst ihr selbst zielen, aufziehen und loslassen, schwingt ihr die Axt, nehmt ihr tatsächlich besser beide Hände, rammt ihr ein Messer in den Schädel eines Walkers, müsst ihr dieses danach tatsächlich mit Ruck erst wieder herausziehen und so weiter. Kombiniert mit der Tatsache, dass auch die Sounds wundervoll realistisch-eklig klingen und dass Messerstiche, Axtschwung und mehr auch nicht einfach immer in derselben Animation enden, sondern ihr wirklich so gut wie jede Zombie-Körperstelle verletzen könnt, wird das Kampferlebnis damit so lebensecht, wie es nur sein kann.

Die einzigen Dinge, die davon ablenken, dass ihr während eurer Touren durch die diversen Bereiche von New Orleans doch nicht ganz frei seid, sind, dass ihr zum einen des Öfteren auf nicht ganz logisch abgegrenzte Bereiche (eben doch Sandbox) stoßen werdet – beispielsweise Straßen, die von seltsam gestapelten Autos blockiert werden –, dass sich so manches Asset, speziell bestimmte Fahrzeuge, dann doch ein wenig zu oft wiederholt, und dass mit einem Großteil der Umgebung, trotz der großartigen Physik der Walker und Waffen, nicht interagiert werden kann. So müssen Dinge, die ihr intuitiv als Notfalls-Waffe nutzen möchtet – beispielsweise Straßenhütchen –, brav an ihrem Platz verweilen.

Ein bisschen von allem

Bis jetzt klang The Walking Dead: Saints & Sinners sehr nach Shooter/Hack’n‘Slash – ist es aber nicht. Zumindest nicht nur, denn in dem Titel steckt auch eine ganze Menge Rollenspiel. Zum einen läuft während eurer Abenteuer die ganze Zeit die Uhr mit: Euer Tag als Zombie-Killer verrinnt und bricht die Nacht ein, wörtlich eingeläutet von einer Glocke, vervielfachen sich die Walker in den Straßen und es liegt an euch, zu entscheiden, ob ihr das Risiko auf euch nehmen oder doch zum Schlafen in eure Basis zurückkehren wollt. Der Nachteil an Zweiterem: Am folgenden Tag warten üblicherweise mehr Untote als am vergangenen Morgen auf euch – die Bedrohung wird also stetig größer.

Glücklicherweise levelt aber auch euer Charakter nach und nach auf und sammelt neue Fähigkeiten. Zudem könnt ihr im Laufe des Spiels nicht nur immer neue Waffen finden, ihr dürft auch diverse Gegenstände aufsammeln und diese dann in eurer Bus-Basis zu neuen nützlichen Dingen kombinieren – beispielsweise zu mehr Rucksack-Platz, Medizin oder neuen Waffen. Und das ist auch gut so, denn letztere kommen allesamt mit begrenzter Haltbarkeit – oder in anderen Worten: Sie gehen mit der Zeit kaputt.

In den Kämpfen selbst habt ihr neben eurem selbstverständlichen Gesundheitsstatus weiters auch einen Ausdauerbalken, der sich durch diverse Aktionen entleert. Klettert ihr also gerade eine Regenrinne hoch, um Zombie-Massen unter euch zu entgehen, beachtet dabei, dass eure Arme irgendwann nachgeben werden – und dann kann es obendrein noch passieren, dass euch im folgenden Kampf der Baseballschläger bricht. Ungut. Genau deshalb ist es in Saints & Sinners auch wichtig, eure Touren und Angriffe ein wenig im Voraus zu planen und nicht einfach wild darauf loszulaufen – wer mit seiner Energie und seinen Waffen nicht haushält, endet nämlich sehr schnell als Neuzugang der Walker-Crew.

Sterbt ihr tatsächlich – und ihr werdet sterben – respawnt ihr am Beginn der jeweiligen Karte und müsst den Ort eures Ablebens erneut erreichen, ohne dabei draufzugehen, um all eure Ausrüstung wieder aufzusammeln. Verkommt ihr am Weg ein zweites Mal zu Zombie-Futter, sind die damals mitgeführten Dinge permanent verloren. Unter diesem Gesichtspunkt ist es vielleicht sogar ganz gut, dass der Inventar-(=Rucksack-)Platz begrenzt ist …

Wo wir gerade beim Inventar sind: Auch hier hat man sich voll und ganz auf intuitive Nutzung konzentriert: Dinge werden per einfacher Geste Richtung Schulter in der Tasche positioniert; zum Herausnehmen, holt ihr euren Rucksack per Griff an euren Rücken hervor und seht dann einzelne Slots, in die ihr nur greifen müsst. Alles, was ihr im Eifer des Gefechts schnell griffbereit haben solltet – also vor allem Waffen, eure Taschenlampe und euer Journal, das als Quasi-Karte/Leitfaden dient – findet ihr direkt greifbar an eurem Körper: an Hüften, am Rücken, am Brustkorb.

Das perfekte Zombie-Spiel?

Bislang klingt alles wundervoll und, glaubt uns, so viel Spaß wie The Walking Dead: Saints & Sinners macht im Moment auch tatsächlich kaum ein anderer VR-Titel – wo so viel Licht, da muss allerdings auch etwas Schatten sein. Das größte Problem an dem Titel haben wir dabei vorhin schon kurz angesprochen: die Umgebungen selbst. Die Stadt ist groß und lässt uns viel Freiraum in Sachen Erkundung, abseits von immer neuen Waffen und Items gibt es dabei allerdings nicht viel zu entdecken. Es wäre toll gewesen, wenn die Touren in die Häuser fremder Menschen ab und an auch ein klein wenig Story-Content geliefert hätten – beispielsweise in Form von Tagebüchern oder Briefen oder Home Videos, die die Schicksale der nun untoten Bevölkerung von New Orleans ein klein wenig persönlicher gemacht hätten. Auch versteckte NPCs, getriggerte Events und mehr hätten wir uns gewünscht – leider bleibt all das aber aus. Die Kämpfe sind nach wie vor großartig, das Feeling wundervoll bedrückend und schaurig, aber ganz allgemein hat man dann leider doch das Gefühl, dass sich das Erkunden abseits der vorgegebenen Kampagnen- bzw. Missionspfade nicht so ganz lohnt – sofern man nicht einzig darauf aus ist, so viele Walker auf so kreative Weise wie möglich ins – diesmal hoffentlich permanente – Jenseits zu befördern.

Auch in Sachen Charakterentwicklung selbst merkt man, dass Saints & Sinners trotz vorgegaukelter Freiheit im Grunde doch recht linear ist: Ihr dürft nach und nach neue Fertigkeiten freischalten – von tatsächlich individualisiertem bzw. personalisiertem Gameplay kann aber dennoch nicht die Rede sein. Nach einigen Spielstunden wird jeder Tourist in etwa die gleichen Fähigkeiten und Waffen besitzen. Garantiert kein Spaßkiller, aber hier wurde dennoch ein wenig Potenzial verspielt.

Wo hingegen sehr viel Wert auf individuelle Anpassungsmöglichkeiten gelegt wurde, ist die Grafik. Wie jeder VR-Freund weiß, ist VR-Erlebnis nicht gleich VR-Erlebnis: Unterschiedliche Headsets kommen mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen, nicht jedes davon funktioniert mit jedem Spiel, die Grafikleistung (und -karte) eures PCs kann für riesige Unterschiede in Sachen Darstellung und Performance sorgen und – am wichtigsten: Nichts ruiniert die Immersion so sehr wie ständige Framerate-Einbrüche. Zum Glück hat man hier an alles gedacht und eine ganze Liste an Grafik-Optionen bereitgestellt, die ihr komplett eurem persönlichen Setup anpassen könnt. So sollte wirklich jeder, der ein halbwegs brauchbares System zuhause hat, auf mindestens 90 FPS bei ansehnlicher Darstellung kommen.

Generell hat man sich bei der Präsentation von Saints & Sinners Mühe gegeben. Abgesehen von den vorhin schon genannten Problemen mit übermäßig häufig genutzten Assets und so manchem statischen Element in der Umgebung, sieht die Welt des untoten New Orleans hübsch aus und kommt – sehr zu unserer Freude – mit vollständiger, durchwegs hochwertiger Sprachausgabe daher. Wirklich jeder NPC plaudert, flucht oder schreit mit Leidenschaft und lässt die Welt von The Walking Dead noch ein wenig lebendiger – oder untoter – wirken. Die vorhin schon gelobten Soundeffekte tun ebenfalls ihr Übriges und die Musik sticht zwar nicht als fantastisch hervor, untermalt die Situation allerdings zu jeder Zeit passend.

FAZIT

Zombies mögen langsam mehr als out sein, mit The Walking Dead: Saints & Sinners liefert Entwickler Skydance Interactive aber dennoch einen richtig guten Grund, sich noch einmal in die Horden Untoter zu werfen. Die Kombination aus Rollenspiel und Shooter/Hack’n’Slash geht in Sachen Spielspaß voll und ganz auf, was vor allem dem vielseitigen Kampfsystem sowie dem wundervoll ekligen Sounddesign geschuldet ist. Die Freiheit, hier wirklich eure eigene Zombie-Apokalypse zu erleben – und das dank VR so immersiv und atmosphärisch wie nur möglich –, bläst frischen Wind in ein kürzlich sehr überstrapaziertes Genre und wird einzig und allein durch die Tatsache getrübt, dass für ein durchwegs geniales Spiel dann doch das gewisse „Mehr“ fehlt: von versteckten Hintergrundstories in den zahlreichen Gassen und Bauwerken bis hin zu mehr interaktiven Objekten, um die eigene Kreativität beim Untoten-Vernichten auf voller Länge auszuleben. Den Gesamteindruck trübt das alles aber nur unwesentlich: Vom Gameplay über die Präsentation bis hin zur Atmosphäre kann The Walking Dead: Saints & Sinners durchwegs überzeugen. Von uns gibt es deshalb zwei verweste Daumen hoch.

Was ist The Walking Dead: Saints & Sinners? Gelungenes VR-Action-Rollenspiel im TWD-Universum, mit neuem Charakter und Setting sowie viel Freiheit
Plattformen: PC (Steam VR)
Getestet: Intel Core i7-8700K, 32GB RAM, GeForce RTX 2080; Oculus Quest via Quest Link
Entwickler / Publisher: Skydance Interactive
Release: 23. Januar 2020
Link: Offizielle Webseite

Gesamtwertung: 8.8

Einzelwertungen: Grafik: 8 | Sound: 10 | Handling: 10 | Spieldesign: 8 | Motivation: 8

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