Filmkritik: Marriage Story

Aufgrund der derzeitigen Lage und der bis auf Weiteres geschlossenen Kinos (daher auch der Name dieser neuen Kategorie), hab ich mir gedacht, ich könnte die Zeit nutzen um mich mit ein paar Perlen (oder auch Gurken) der jüngeren Vergangenheit zu beschäftigen, die es aus verschiedensten Gründen nicht in mein reguläres Programm geschafft haben. Den Anfang macht heute das Oscar-prämierte und doch viel zu wenig beachtete Netflix Drama Marriage Story.

INHALT

Charlie Barber ist ein erfolgreicher New Yorker Theater-Regisseur, Ehefrau Nicole ist seine Muse und Publikumszugpferd gleichermaßen. Als sich die aber scheiden lassen möchte, gerät für Charlie die Welt aus den Fugen. Denn für ihn kommt dieser Schritt mehr als nur überraschend. Erschwerend kommt noch hinzu, dass Nicole unbedingt zurück nach Los Angeles will, um wieder an ihrer für ihn auf Eis gelegten Filmkarriere zu arbeiten.

Da sie auch den gemeinsamen Sohn mitnehmen möchte, wird aus der Anfangs beschlossenen „freundschaftlichen“ Trennung schnell ein Streit mit verhärteten Fronten. Die herbeigerufenen Anwälte scheinen die Lage nur weiter zu verschärfen und was als eine, den Umständen entsprechend, entspannte Scheidungs-Prozedur beginnt, droht völlig aus dem Ruder zu laufen.

© 2019 Netflix

KRITIK

Wer nun nach dieser Inhaltsangabe annimmt, hier würde alles nur so vor Dramatik triefen und große Gefühle effektvoll breitgetreten, der irrt. Denn Marriage Story ist ein sehr ruhiger und in seiner Emotionalität überraschend subtiler Film. Während der große Klassiker des Scheidungs-Dramas, Kramer gegen Kramer, mit emotionalen Gerichtssaal-Reden und Gefühlsausbrüchen den Schmerz der beteiligten zelebriert, überwiegen hier die leisen Töne. Eine kleine Gemeinheit hier, ein böses Wort da, viel mehr haben sich die Beiden nicht vorzuwerfen. Denn Charlie und Nicole hassen sich nicht. Sie lieben sich einfach nur nicht mehr.

Das ist wohl auch einer der Grund dafür, dass der einzige echte Streit im Film so sehr auf das Publikum wirkt. Niemand will hier dem anderen etwas Böses tun, jedoch wissen wir alle, dass Menschen in extremen psychologisch belastenden Situationen oft sehr irrational und auch verletzend reagieren. Auch der Einfluss von ehrgeizigen Scheidungsanwälten auf diese Dynamik nimmt der Film kritisch aufs Korn, ebenso den der jeweiligen Familien und Freunde. Und in jedem Satz, jeder Geste kann man sich mehr oder weniger wiederfinden, denn so sehr man sich auch auf die Seite des einen oder anderen beim Schauen schlagen mag, beider Entscheidungen sind zu jedem Moment realistisch und nachvollziehbar.

Möglich ist das vor allem durch das fantastische Skript. Selten bewegen sich fiktionale Charaktere so nah an einem selbst, oder jemandem aus seinem Umfeld an den man sich unweigerlich erinnert fühlt. Selbes gilt auch für die Dialoge. Zu keinem Zeitpunkt hören sich die nach Bedeutung haschende Reden an, wie das so oft in Filmen dieser Art passiert. Normale Menschen reden nicht so, die streiten nicht so. Die werfen sich auch mal einfach eine Beschimpfung an den Kopf, einfach weil ihnen in der Hitze des Gefechtes nichts anderes einfällt. Sie reden nicht über die Dinge, die sie wirklich bewegen und fürchten, aus Angst verletzlich und angreifbar zu sein. Sie tun dumme Dinge, die sie danach mehr oder weniger bereuen. Und große Gesten entstehen genauso oft aus Verzweiflung, wie aus Stärke.

© 2019 Netflix

Der andere Grund, warum diese so persönliche Geschichte hier einwandfrei funktioniert, ist die fabelhafte Besetzung. Adam Driver als Charlie, hat in den letzten Jahren sein großes Talent immer wieder beeindruckend unter Beweis gestellt, während Scarlett Johanssens Fähigkeiten immer wieder gerne vergessen werden. Beide sind dann am besten, wenn sie ganz normale, geerdete Figuren mit normalen Problemen und normalen Leben mimen (siehe Paterson bzw. Lost in Translation). Und genau das tun sie hier. Beide waren für den Hauptrollen-Oscar nominiert, in beiden Fällen hochverdient. Dass die erstklassige Riege an Nebendarstellern da nicht total verblasst, grenzt an Wunder, jedoch ist das Gegenteil der Fall. Der einzige Oscar, den Marriage Story tatsächlich gewonnen hat, ging an die wunderbare Laura Dern, die der gleichermaßen herzlichen und furchteinflößenden Scheidungsanwältin von Nicole, leben einhaucht.

Die Art und Weise, wie Regisseur und Autor Noah Baumbach seine Geschichte in Bildern einfängt, hat fast etwas Dokumentationshaftes. Nie hat man das Gefühl es werde irgendetwas hervorgehoben, um eine Reaktion beim Publikum zu bewirken. Viel mehr hat man das Gefühl dieser Trennung einfach als Außenstehender beizuwohnen, was man ja in Wahrheit tatsächlich auch tut. Erreicht wird das durch oft lange, aber nie zu lange Einstellungen, die regelmäßig das relevante Geschehen bewusst aus dem Fokus verschwinden lassen. Die Dinge passieren nicht für unser Sehvergnügen, sie passieren einfach, was das ganze dann wieder noch ein wenig realistischer wirken lässt. So als wären Charlie und Nicole unsere Nachbarn oder gute Freunde.

© 2019 Netflix

FAZIT

Wer auf überdimensionalen Weltenschmerz und große emotionale Reden in seinen Dramen steht, der ist bei Marriage Story an der falschen Adresse. Hier geht es schlicht und ergreifend um 2 Menschen, die sich vergessen haben, einander zu lieben und dem emotionalen Chaos in das sie sich begeben, bei dem Versuch ihr Leben neu auszurichten. Ein erstklassiges Drehbuch und die dem in keinster Weise nachstehende Besetzung, machen diese, jedem von uns auf die eine oder andere Weise bekannte Situation, so nachvollziehbar und nachempfindbar, wie ein Film nur sein kann. Ganz großes Kino über den ganz normalen Wahnsinn des ganz normalen Lebens.

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