Wasteland 3 im Test

Du! Ja, du! Sieh mich nicht an wie eine Ziege, die sich in wilder Leidenschaft versehentlich selbst in den Hintern gebissen hat, sondern hör mir zu. Die Welt geht vor die Hunde, oder besser gesagt: Dieses atomare Drecksloch ist drauf und dran seinen Verstand zu verlieren. Die USA, vor dem Feuersturm das beste Land auf Gottes grüner Wiese, ist zur Brutstätte von Clowns, Monstern und Kommunisten verkommen. Kein guter Amerikaner ist noch sicher in diesen seltsamen Zeiten. Daher liegt es an dir, Ranger, wieder Ordnung ins Chaos zu bringen und den amerikanischen Traum zu reanimieren. Willkommen in Wasteland 3!

Seit ihre Heimatbasis im Kampf gegen eine KI zerstört wurde, sind die einst so stolzen Ranger nur mehr ein Schatten ihrer selbst. Mit gelegentlichen Aufträgen halten sie sich über Wasser, doch der einstige Glanz ist verblichen. Deshalb kam ein Angebot des Patriarchen, dem Eigentümer Colorados, ganz gelegen. Die Ranger sollten in seinem Namen eine nicht näher genannte Mission erfüllen. Im Gegenzug, wird er zukünftig die Nahrungs- und Ressourcenversorgung der Einheit übernehmen, genauere Parameter sollten bei einem ersten Treffen verhandelt werden. Leichter gesagt als getan, denn durch einen heimtückischen Hinterhalt werden sämtliche Mitglieder der Ranger getötet. Nur zwei Glückliche schaffen es zu überleben und dem Patriarchen vor die Augen zu treten. Bestürzt stellt dieser zwei Dinge klar: Nicht er, sondern eine hiesige Gang, steckt hinter dem Angriff und unser Auftrag wird es sein, seine Kinder zu finden und dingfest zu machen. Ein Unterfangen, dass es in sich hat, denn bei den Sprösslingen des Patriarchen sitzt nicht nur eine Schraube locker.

Als ich auszog, um die Welt zu retten…

Wasteland 3 ist Wahnsinn in seiner reinsten Form. Nicht nur was seine Qualität betrifft sowie die vielen Stunden Spaß, welchen mir der Titel bereitet hat. Nein, Wahnsinn ist das Fundament auf das dieses feine Old School-RPG baut. Diese Tatsache offenbart sich bereits beim Charakter-Editor, welcher im Vergleich zum Vorgänger um einige skurrile Elemente erweitert wurde. Nicht nur gibt es eine Vielzahl an netten Optionen. mit denen unsere Spielfiguren visuell nach den eigenen Vorstellungen gestaltet werden kann, sondern auch kreative Skills wie „Hinterhältiger Scheiß“.

Neu in Wasteland 3 ist, dass man nicht mehr vier Charaktere von Beginn an gestaltet, sondern zwei. Je nach Lust und Laune können wir da aus diversen vorgefertigten Paaren, mit eigenen Background und Voreinstellungen wählen, oder wir machen uns dran und bauen eigene Recken. Ich entschied mich für Option B und rief einen hageren Scharfschützen mit Totenkopfmaske Namens Wraith ins Leben. Ihm zur Seite stellte ich einen Sanitäter mit einer Vorliebe für schweres Geschütz. Der Mediziner mit den panzerbrechenden Argumenten bekam den Namen Hawk verpasst. Kaum hatte ich mein dynamisches Duo aus dem Boden gestapft, ging es auf in die Weiten des Wasteland.

…die Hintern meiner Feinde versohlte…

Kenner der Vorgänger werden sich von der ersten Minute weg zu Hause fühlen, denn in der Gameplay-Mechanik unterscheidet sich Wasteland 3 kaum von seinem Vorgänger. Wir führen Dialoge, welche basierend auf den ausgewählten Skills diverse Möglichkeiten bieten und zum Teil sehr unvorhergesehene Situationen entfesseln können. Es ist daher zwar nicht immer taktisch klug eine durch seine Fähigkeiten freigeschaltete Antwort auszuwählen, aber aufgrund des gelegentlichen Wahnsinns, der sich daraufhin entfalten kann, ist es das Risiko dann meist doch durchaus wert. Eskaliert eine Situation und mündet in einem Scharmützel, findet man sich auf einer altbekannten Spielwiese wieder, da auch die Auseinandersetzungen mehr als vertraut ablaufen.

Ähnlich wie bei X-COM, bewegen wir unsere Figuren in rundenbasierenden Kämpfen über das Schlachtfeld und versuchen sie so zu platzieren, sodass unsere Helden über optimale Deckung verfügen und maximalen Schaden anrichten. Um während des Gefechts Bewegungen und Angriffe durchführen zu können, werden Angriffspunkte verbraucht. Je nach Ausbau der Fähigkeiten, verfügen die Charaktere – von denen ihr bis zu sechs in der Party haben könnt – über eine eigene Anzahl dieser Ressource, was genaues Vorausdenken und Planung erfordert.

Obwohl das Grundgerüst altbekannt ist und man sich als Kenner der Reihe schnell zurechtfindet, wurde das Geschehen um kleine, jedoch feine Nuancen erweitert. So gibt es jetzt die Möglichkeit in Deckung zu gehen, was uns pro verbliebenen Angriffspunkt einen Bonus von fünf Prozent auf Ausweichen gewährt, ein wahrer Segen in brenzlichen Momenten! Auch besteht die Option einen Hinterhalt zu Planen, das heißt der Ranger hält seine Attacke zurück, bis sich der Kontrahent bewegt. Plant man für den nächsten Zug einen größeren Angriff, kann man verbleibende AP in diesen mitnehmen.

Besonders praktisch ist hierbei der sogenannte Präzisionsschlag, eine Spezialattacke, die sich im Laufe des Kampfes auffüllt und deren Auswirkungen je nach ausgerüsteter Waffengattung variieren kann, jedoch im Kern auf erhöhten Schaden und einen Malus (Blutung, langsamere Fortbewegung) gegen den Feind hinausläuft.

…und in den Armen einer Ziege endete!

Wasteland 3 gelingt ein interessanter Spagat, denn es balanciert gekonnt zwischen abgefahrenen Humor und düsterer Ernsthaftigkeit. Die finstere Natur, welche dem Spiel zugrunde liegt, kommt nicht nur vom dunkleren Ambiente Colorados – kämpften wir im Vorgänger noch mit den gnadenlosen Gegebenheiten der Wüste, so verschlägt es uns hier in eine trostlose Schneelandschaft – sondern auch von den Themen die Wasteland 3 in seinen Geschichten präsentiert. Wie geht man mit Flüchtlingen um? Hat künstliche Intelligenz ein Recht auf Leben? Ist ein totalitärer Herrscher vielleicht die einzige Chance auf Stabilität in der Gesellschaft, auch wenn dessen Regentschaft Leid für Unschuldige bedeutet? Fragen wie diese, gepaart mit sehr harten Entscheidungen, zeichnen eine Welt jenseits von schwarz und weiß. Das Gute existiert genauso wenig in seiner Reinform, wie das Böse. Vermeintliche Antagonisten haben nachvollziehbare Motive und strahlende Idealisten sind manchmal der Tropfen, welcher das Fass des Chaos zum Überlaufen bringt. Hut ab, das nenne ich gutes Writing!

So finster manches Ereignis in Wasteland 3 auch sein mag, so ist es zum Brüllen komisch, wenn es dann seinen Humor ausspielt. Sei es eine Fraktion, welche sich in kannibalistischen Clowns manifestiert oder ein versehentliches Techtelmechtel mit einer Ziege (Schwarzblende inklusive!) das uns einen praktischen Bonus beschert. Das ist Anarcho-Humor vom Feinsten und grandiose Gesellschaftssatire.

Außerhalb der Main-Quest erkunden wir mit unserem Kodiak – eine Art Schneepanzer – die Landkarte. Die ist nicht nur vollgepackt mit allerlei optionalen Schauorten, sondern konfrontiert uns auch mit gelegentlichen Zufallsereignissen. Vom Händler bis zum mechanischen Skorpion ist alles möglich.

Technisch ist Wasteland 3 ein tolles Game geworden. Sowohl Charaktermodelle als auch die Schauplätze sind detailliert und stimmig gestaltet. Allerdings hatte ich in der von mir gespielten Fassung ein paar Bugs. Während manche einfach nur etwas nervig waren, wie zum Beispiel nicht verschwinden wollende Schriftzüge, entpuppten sich andere als weitaus schwerwiegender. Wie zum Beispiel ein Speicherbug, der es unmöglich machte in einem bestimmten Gebiet Spielstände, welche via Schnellspeicherung erstellt wurden, zu laden. Dieser Fehler kostete mich fast sechs Stunden Spiel-Fortschritt. Uns wurde allerdings versichert, dass der Großteil dieser Kinderkrankheiten mit einem Day-One-Patch ausgemerzt wird.

FAZIT

Wasteland 3, ich liebe dich! Das klassische Endzeit-RPG vereint in sich so viele Elemente, die ich schon für sich genommen schätze: böser Humor, schwere Entscheidungen, eine düstere Welt, abgefahrene Charaktere und ein wirklich tief greifendes Rollenspielsystem. Ich hab jede einzelne Minute meiner insgesamt 51 Stunden Spielzeit genossen. Doch obwohl ich gewissenhaft alles abgegrast habe und so ziemlich jede Nebenquest abschloss, die ich in die Finger bekam, bin ich mir sicher nur einen Bruchteil des Möglichen gesehen zu haben. Aufgrund der vielen Entscheidungen und den dadurch resultierenden Konsequenzen können dem Spieler ganze Handlungsstränge und mit ihnen verbundene Quests durch die Lappen gehen. Ein Faktum das den Wiederspielwert immens erhöht. Die bereits im Vorgänger exzellenten Kämpfe erreichen darüber hinaus vor allem dank vieler kleinerer Verbesserungen eine neue Höchstform und fesseln ebenso sehr wie die kniffligen Entscheidungen, vor die man gestellt wird. Lachen, Grübeln und Taktieren. Wasteland 3 ist ein Rollenspiel der Spitzenklasse und bietet ein Rundumpaket an dem sich Genrekollegen (Ja, ich meine dich Fallout!) messen lassen müssen.

Was ist Wasteland 3? Ein rundenbasiertes Rollenspiel alter Schule
Plattformen: PC, PS4, Xbox One
Getestet:  AMD Ryzen 7 37000X 8-Core Prozessor, 16GB RAM, Radeon RX Vega
Entwickler / Publisher: inXile Entertainment/inxile Entertainment, Deep Silver
Release: 28. August 2020
Link: Offizielle Webseite

Gesamtwertung: 9.6

Einzelwertungen: Grafik: 10 | Sound: 10 | Handling: 8 | Spieldesign: 10 | Motivation: 10

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