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Watch Dogs: Legion im Test

Jetzt wird es ernst. Mit diesem Review zu Watch Dogs: Legion rückt die Next-Gen der Konsolengeneration in greifbare Nähe. Immerhin ist der dritte Teil der Hacker-Serie eines der zahlreichen „Brückenspiele“, die diesen Herbst für die alten ebenso wie für die neuen Versionen der Playstation und Xbox erscheinen werden. Die Frage ist nur: Ist das für Watch Dogs: Legion eher Fluch oder Segen? Aus rein technische Sicht ist mein Urteil dabei eindeutig: Ersteres.

Zugegeben: Ich habe es Watch Dogs: Legion nicht einfach gemacht, in diesem Test für die Current Gen überzeugen zu können. Einfach „weil ich’s wissen wollte“, habe ich mir nach der Remote-Preview-Session auf einem Raytracing-fähigen High-Performance-PC nun als Plattform für dieses Review die schwächste ausgesucht, für die das Spiel erhältlich ist: die erste Generation der Xbox One. Und was soll ich sagen!? Wenn es das Ziel war, mit diesem Spiel auf der Current Gen das Verlangen nach einer Next Gen Konsole zu steigern, lief alles nach Plan: Lange Ladezeiten, gerade beim flotten Fahren durch die Stadt merklich reduzierte Auflösung auf wohl höchstens 900p und spürbare Framerate-Drops unter die 30 FPS-Marke sind wahrlich kein Ruhmesblatt für die in die Jahre gekommene Jaguar-Architektur in der Microsoft-Konsole. Aber gut; eben um die Lebenszeit der aktuellen Konsolengeneration zu verlängern, gab es dann ja PS4 Pro und Xbox One X, die sich hier bestimmt besser schlagen. Außerdem ist Legion selbst auf der armen, alten Xbox One sehr oft noch ein wirklich hübscher Anblick, was vor allem an der fantastisch ins Spiel übertragenen Stadt London liegt, die zudem mit viel Leben versehen und optisch durch schicke Beleuchtung und nette Wetter-Effekte toll in Szene gesetzt wurde.

Dennoch bleibe ich in Sachen Technik und Watch Dogs: Legion kritisch eingestellt. Während man die bis hierher aufgeführten Punkte nämlich durch und durch auf die Hardware schieben kann, gilt das für die durch die Bank wenig detaillierten Charaktermodelle ebensowenig wie für die mehrmaligen Freezes beziehungsweise kompletten Abstürze, die ich in meiner Testzeit erlebt habe. Auch sonst zeigte der dritte Teil der Watch Dogs Serie sich ein wenig glitchy: lustigerweise vor allem während Unterhaltungen in ingame-Cutscenes. Hier begannen manche Charaktere unvermittelt zu schweben, teleportierten plötzlich auf das Dach der Bushaltestelle, unter dem sie gerade noch gestanden hatten oder poppten zu spät ins Bild. Und das alles wohlgemerkt bereits mit dem Day 1-Patch.

Auf die inneren Werte …

Die grundlegenden Neuerungen in Watch Dogs: Legion in Sachen Gameplay habe ich ja bereits in meiner Vorschau breit getreten. Hier daher nur die Kurzform: Schauplatz ist London, wo nach Anschlägen, die DedSec in die Schuhe geschoben wurden eine Privatarmee quasi einen Polizeistaat errichtet hat – vollständige Überwachung aller inklusive. Nun gilt es den Widerstand aufzubauen, DedSec wieder groß zu machen und London zu befreien. Entgegen der beiden Vorgänger spielt ihr diesmal aber nicht nur einen einzelnen Charakter, sondern eine namensgebende Legion von DedSec-Mitstreitern, die ihr nach Belieben aus der Bevölkerung Londons rekrutieren könnt. Dabei hat jeder einzelne Londoner seine ganz eigenen Besonderheiten und Fähigkeiten. Unnötig zu erwähnen, dass dabei aber nicht jeder unbedingt gleich „wertvoll“ für den Hacker-Widerstand ist. Sich also in der Umgebung eines Krankenhauses einen Arzt oder eine Ärztin anzulachen, rund um Regierungsgebäude einen Spion zu rekrutieren oder in den finsteren Ecken der Stadt einen professionellen Hitman für seine Sache gewinnen zu können ist sicher verheißungsvoller als die Oma von nebenan … doch auch das geht. Cool dabei: Jeder einzelne Bewohner von London hat seinen eigenen Tagesablauf, Verbindungen und ein Gedächtnis. Wenn ihr also beispielsweise irgendwann mal während einem kleinen Joyride einen Passanten über den Haufen gefahren habt, der zufällig der Cousin eines Bauarbeiters war, den ihr jetzt eigentlich gern wegen seiner Fähigkeit große Lastendrohnen hervorzurufen rekrutieren würdet, braucht ihr euch nicht zu wundern, dass er nicht sonderlich begeistert sein wird.

Nun klingt das natürlich sehr beeindruckend: Rund neun Millionen NPCs wurden programmiert und mit eigener Story versehen – und jeder davon ist theoretisch spielbar … wow. Allerdings wird die Suppe freilich nie so heiß gegessen, wie sie gekocht wird. Am Ende laufen die Unterschiede neben der Optik und Belanglosigkeiten wie ob und welches Auto jemand hat auf eine Handvoll Archetypen hinaus. Anfangs ist es also noch wichtig und lustig, möglichst viele Mitstreiter für die Sache zu gewinnen, vor allem weil dadurch auch sekundäre Perks wie schnellere Entlassungszeiten aus dem Gefängnis oder Krankenhaus für alle Mitglieder warten. Sobald man aber von allem ein bisschen was zusammenhat, ist der Legions-Gedanke recht bald obsolet. Vor allem auch, da sich die meisten Missionen im Grunde immer auf unterschiedliche Art und mit unterschiedlichen Spielstilen lösen lassen. Hat man also seinen persönlichen Favoriten gefunden (z. B. alles via Drohne erledigen oder doch lieber einfach reinschleichen und alles über den Haufen schießen, was sich einem in den Weg stellt), gibt es kaum mehr einen Grund überhaupt seinen Charakter zu wechseln. Außer freilich, man beißt ins Gras… was aber auch relativ sein kann. Es gibt nämlich die „Permadeath-Option“. Ihr könnt euch also aussuchen, ob ein DedSec-Mitglied, wenn es „getötet“ wird, nur im besagten Krankenhaus landet oder tatsächlich endgültig aus dem virtuellen Leben geschieden ist. Meine Empfehlung: Unbedingt anschalten – macht die ganze Sache deutlich spannender. Gleichzeitig muss man sich aber glücklicherweise um seine Ausrüstung keine Sorgen machen, die man über in der Welt sammelbare „Tech Points“ freischalten kann. Die können nämlich nach Belieben auf alle Team-Mitglieder verteilt werden – gehen also nicht verloren, wenn einer mit etwas davon in der Tasche im Feld den Löffel abgibt.

Eine andere Kehrseite der potenziell Millionen von Alter Egos ist, dass man da freilich beim Storytelling Kompromisse eingehen muss und dennoch noch vor einem gigantischen Haufen Arbeit sitzt. Immerhin muss somit theoretisch ja auch jeder der neun Millionen Londoner die Story-Dialoge führen können. Recycling ist hier das Zauberwort: Von ein paar Dutzend Sprechern wurden also alle Textzeilen eingesprochen, während für Unterhaltungen auf der Straße – wenn man also eine Rekrutierung starten will – offensichtlich unterschiedliche Varianten für gewisse Punkte in jeder Unterhaltung aufgezeichnet wurden, die dann „random“ ausgespielt werden. Das führt aber leider dazu, dass gefühlte 80 % aller Unterhaltungen im Spiel merkwürdig wirken. Entweder, weil die Art zu sprechen per se nicht zum Äußeren und zur Vita des Charakters passt (konkretes Beispiel: ein Mi5-Agent in den 60ern mit Professoren-Brille und Tweet-Anzug, der in jedem Satz das Wort „fuck“ unterbringt) oder etwa weil das Gesagte einfach im Kontext nicht stimmig ist (also z.B. wenn unser DedSec einem Rekruten quasi kondoliert, nachdem der erzählt hat, dass ihm jemand seinen Autolack zerkratzt hat). Und dann passiert es freilich gern ab und an, dass man den gleichen Synchronsprecher bei mehreren Protagonisten antrifft. Hilft auch nicht gerade bei der Immersion. Damit ist der „sympathischste Charakter“ im Spiel am Ende die KI Bagley, die euch regelmäßig über Funk auf dem Laufenden hält. Das allein sagt schon ziemlich viel, schätze ich. Zudem hilft bei ihm, dass er kein Gesicht hat – die Animationen sind nämlich freilich auch sehr generisch gehalten, um bei allen Charaktermodellen funktionieren zu können. Das Ergebnis ist dann halt – gerade im Vergleich zu Story-Brettern wie einem The Last of Us: Part II – schlichtweg nicht auf Höhe der Zeit.

Alte Stärken, lästige Schwächen

Dennoch kann man in Wach Dogs: Legion freilich eine gute Zeit haben. Zum Beispiel, wenn man sich in die Ubisoft-typisch zahlreichen Openworld-Tätigkeiten wirft. Manche davon sind rein kosmetisch, wie etwa, dass man sich in Pubs besaufen, im Park mit einem Fußball gaberln oder in Shops jede Menge Gewand kaufen kann (dafür aber leider nicht hinein kann wie bei GTA, sondern am Schaufenster das Browsen startet). Andere aber haben auch tatsächlich Sinn. Wie quasi schon seit dem ersten Assassins Creed wollen also auch hier nun einzelne Bereiche der Karte – hier passend die bekannten Boroughs, also Bezirke Londons – befreit und aufgedeckt werden. Dadurch müssen in der Regel drei Mini-Missionen pro Borough erledigt werden, wodurch die Befreiungsmission für den Stadtteil freigeschaltet wird.  Die gehören dann in der Regel zum designtechnisch Besten, was Legion zu bieten hat und werden zudem mit einem ganz besonders wertvollen Charakter belohnt. Auch die Storymissionen selbst sind ab und an wirklich unterhaltsam und gefallen durch die häufigen, mehreren Lösungswege und sehenswertes Leveldesign.

Allerdings ist auch beim Gameplay nicht alles in bester Ordnung. Während nämlich das Hacken – als Dreh- und Angelpunkt des typischen Watch Dogs-Gameplays – nach wie vor einzigartig ist und auch super funktioniert, wendet sich das Blatt etwas, sobald man mit leisem Hacken allein nicht mehr weiterkommt. Die Action-Passagen des Spiels fühlen sich im direkten Vergleich nämlich immer noch etwas unbefriedigend an. Auch das Fahrverhalten der diversen Autos und Motorräder im Spiel ist nicht unbedingt das Gelbe vom Ei (ist aber halb so wild – über die zahlreichen U-Bahnstationen kann man jederzeit durch London „fast-traveln“). Und dann ist da noch das Nahkampfsystem, das überraschend wenig Tiefe bietet und dennoch mit den Untergrund-Kämpfen quasi einen eigenen Handlungsstrang bzw. Modus spendiert bekommen hat. Warum beispielsweise zwar alle Gegner blocken können, wir selbst aber nicht, ist mir bis heute ein Rätsel. Auch ist echt schade, dass im Grunde alle Charaktere – wurscht welchen Background sie haben – mit derselben Schlagkombi auskommen. Einzig bei den Kontern gibt es leichte Unterschiede.

Online erstmal nur als neue App

Ubisoft hat sich also schon für die Release-Version, die am 29.10 erscheint, viel vorgenommen … zu viel eigentlich. Und dennoch wollen die Franzosen noch mehr. Einen Online-Part nämlich. Der wird im Dezember per Patch nachgereicht. Schon jetzt startet dafür Ubisofts neues Ablösetool für Uplay und den Ubisoft Club: Ubisoft Connect. Die App, die wir bereits herunterladen und oberflächlich testen konnten, bietet diverse Belohnungen für Ingame-Leistungen (bzw. Super-Charaktere beim Start, wenn man andere Games besitzt, wie ich bemerkt habe), Newsfeeds, Freundeslisten, Tipps und Tricks und in Zukunft auch die Möglichkeit Plattformübergreifend seine Spielfortschritte tracken zu können. Ausgerechnet bei Watch Dogs: Legion scheint das aber nicht der Fall zu sein. Erneut hat Ubisoft sich also wohl ein kleines bisschen zu sehr beeilt.

FAZIT

Dass Ubisoft bei Watch Dogs: Legion Kompromisse würde eingehen müssen, wenn sie quasi jeden NPC in ganz London spielbar machen, war klar. Dass die am Ende aber doch so störend sein würden leider weniger. Ich als alter Story-Liebhaber finde es dabei freilich besonders schade, dass die meine DedSec-Alter Egos über den gesamten Verlauf der Geschichte hinweg gezwungenermaßen austauschbare Hüllen bleiben, an denen ich keine Minute wirklich hänge und die mir am ehesten dadurch auffallen, dass sie während der Unterhaltungen unpassenden Blödsinn reden.

Bleibt mir also „nur“ das Gameplay, das zumindest solange man sich ans Hacken hält tatsächlich gut funktioniert und ob der ganzen neuen Möglichkeiten wie der diversen Drohnen und Spiderbots eine einzigartige Erfahrung bietet und Spaß macht. Beim Schießen, Prügeln und Fahren hingegen wirds dann arg generisch und weniger überzeugend. Auch die Technik hinkt. Mal sehen, ob die Next Gen das im November geraderücken kann.

Was ist Watch Dogs: Legion? Der dritte Teil der Serie und somit ein Action-Adventure in einem frei erkundbarem Zukunfts-London.
Plattformen: PC, Google Stadia, PlayStation 4 + 5, Xbox One und Series S/X
Getestet: Xbox One
Entwickler / Publisher: Ubisoft / Ubisoft
Release: 29. Oktober 2020
Link: Offizielle Webseite

Gesamtwertung: 6.8

Einzelwertungen: Grafik: 6 | Sound: 8 | Handling: 8 | Spieldesign: 6 | Motivation: 6

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