Wolfenstein: Youngblood im Test

Mit dem Reboot Wolfenstein: The New Order aus dem Jahr 2014, hat es Entwickler Machine Games geschafft, der doch recht angestaubten Reihe neues Leben einzuhauchen. Der 2017 erschienene Nachfolger Wolfenstein 2: The New Colossus erzählte die ebenso bizarre wie spannende Story, rund um eine von Nazis dominierte Welt gekonnt weiter und blieb seinen arcadelastigen Wurzeln konsequent treu. Der Erfolg gab den Machern mehr als nur Recht. Warum sie nun also für das aktuelle Spin-off Wolfenstein: Youngblood all das über den Haufen werfen, wird mir wohl immer ein Rätsel bleiben.

Die jungen Leute heutzutage…

Billy Jason ‚Blazkowicz‘ hat sich zusammen mit Anya und den beiden Zwillingstöchtern Jessica und Sophia in die amerikanische Einöde zurückgezogen, wo diese zu energiegeladenen Teenagern heranwachsen, die zwar nichts von den Gräueltaten der Nazis mitbekommen, die in Europa immer noch operieren, aber von ihren Eltern trotzdem in jeder nur erdenklichen Art von Überlebens- und Kampftraining gedrillt werden. Als B.J. eines Tages unvermittelt verschwindet, entschließen sich die beiden Mädels, sich auf den Weg nach Paris zu machen, denn dort wurde ihr Vater zuletzt gesehen.

Genauso schnell wie die beiden in Paris, und damit auch im eigentlichen Spiel, ankommen, landen wir bei den ersten beiden großen Problemen von Wolfenstein: Youngblood. Namentlich wären das die Story und die Charaktere. Erstere lässt so ziemlich alles vermissen, was die Vorgänger so einzigartig gemacht hat: Ein völlig abgedrehtes und außerordentlich unrealistisches Setup über Nazis, die es schaffen mit moderner Technik und unmenschlichen Experimenten die Weltherrschaft an sich zu reißen und die aberwitzigen Abenteuer von B.J. Blazkowicz und seinen Freunden vom Widerstand, die alles tun um dagegen anzukämpfen. Youngblood beginnt mit dem wohl billigsten Setup seit es Geschichten gibt (wichtige Person verschwindet, wir müssen sie suchen) und bietet im Laufe der Story-Missionen kaum irgendwelche Höhepunkte. Mehr als „Oh, geht dorthin, dort müsste es Hinweise auf seinen Verbleib geben“, oder „Da war er ganz bestimmt, seht euch das an“ wird hier nicht geboten und man fühlt sich wie auf einer überdimensionalen, aber trotzdem nicht sonderlich spannenden, Schnitzeljagd quer durch Paris. Wer sich dann nach all dem sowas wie eine große Offenbarung am Schluss, oder gar überhaupt ein befriedigendes Ende erwartet, dem steht dann erst recht eine riesige Enttäuschung bevor.

Mit den Charakteren sieht es ähnlich aus. Vorbei die Zeit der überdimensionalen Bösewichter, der leicht verrückten NPCs und Kameraden, sowie der liebenswert durchgeknallten Hauptcharaktere. Denn so etwas wie einen Bösewicht gibt es zur Sicherheit gleich mal gar nicht bis man die letzte Mission erreicht, und auch der ist dann kaum einer Erwähnung wert und wohl auch schneller vergessen als der Geburtstag der Schwiegermutter. NPCs verkommen zu reinen Quest-Gebern und Expositions-Automaten, ohne jeglichem Eigenleben oder gar Charakter oder Emotionen. Und dann sind da Jess und Soph…Die beiden Protagonistinnen sind einfach kaum zu ertragen. Es scheint so als wären sie als Parodie auf Jugendkultur und -sprache ausgelegt, allerdings ohne jegliches Verständnis für diese beiden Dinge. Zudem sind scheinbar alle die an den Charakteren mitgearbeitet haben Einzelkinder zu sein, denn kein real existierendes Geschwisterpaar hat je so miteinander gesprochen. Die sich ständig wiederholenden Samples der jeweils anderen Schwester während Missionen und im Kampfgeschehen verschlimmern das ganze nur noch mehr.

Nazi-RPG?

Also die Story ist ein wenig vermurkst, aber das kann man verschmerzen – immerhin ist da noch das spaßige simple, aber äußerst befriedigende Gameplay. Das flotte Movement, die fetten Waffen und das effektvolle Gemetzel waren ja eigentlich immer das Highlight von Wolfenstein. Nun, offenbar war man bei Machine Games (und Arcane Studios, die an dem Spiel mitgearbeitet haben) andere Meinung, denn man hat sich entschieden, diverse RPG-Elemente einzubauen, wie etwa Erfahrungspunkte und damit dementsprechend auch Level, die wiederum freischaltbare Perks mit sich bringen. Diese ganze Mechanik funktioniert zwar grundsätzlich ganz brauchbar, fühlt sich aber völlig überflüssig an. All die Perks sind zwar ganz nett, bewirken aber viel zu wenig, um im Spielverlauf einen echten Unterschied zu machen. Dasselbe gilt übrigens auch für etliche der vielfältigen Waffenupgrades. Nur wer konsequent in eine Richtung (also Schaden, Präzision, Nachlade-Geschwindigkeit, …) ausbaut, bemerkt irgendwann einen tatsächlichen Effekt.

Das wäre jetzt an sich noch kein Beinbruch, verteilt man halt ein paar Punkte bevor es mit dem Zerlegen der Gegner weitergeht, richtig? Leider falsch, denn Levels und Skills waren den Entwicklern nicht genug RPG, also haben sie auch an die Action selbst Hand angelegt. So tragen die verschiedenen Gegner nur unterschiedliche Schilde, die wiederum nur von unterschiedlichen Munitionstypen effektiv durchdrungen werden können. Brauchbare optische Indikatoren gibt es dafür leider keine (etwa wie die farbliche Codierung in Destiny), nur kleine, unscheinbare und in der Hitze des Gefechts kaum zu unterscheidende Symbole, die sich nur minimal voneinander unterscheiden. Und weil die Entwickler so stolz auf ihre tolle Idee sind, werfen sie einem andauernd einen wilden Mix aus besagten Gegnertypen um die Ohren, so dass man das Gefühl hat mehr Zeit mit Waffenwechseln als mit tatsächlichem Schießen zu verbringen. Das trifft allerdings nur dann zu, wenn man die passende Munition zur Verfügung hat…was uns zum nächsten Problem führt.

Paris ist langweilig

Auch beim Leveldesign hat man sich nämlich entschieden, die ausgetretenen, aber sehr beliebten Wege zu verlassen und „neue“ Pfade zu bestreiten. Anstatt der großteils sehr geradlinigen, aber dafür sehr schön durchdesignten Stages, gibt es neuerdings kleine Hubs in der Größe eines Häuserblocks, die nun (fast) frei begehbar sind, als Kriegsschauplätze. Die sind zwar ganz ordentlich gestaltet, werden aber trotzdem sehr schnell langweilig, da man für die völlig generischen Nebenquests immer und immer wieder hingeschickt wird.

Ganz sicher nicht spannender macht das Ganze die Tatsache, dass Gegnergruppen respawnen, sobald man auch nur einen Fuß aus ihrem jeweiligen Stationierungs-Bereich macht. Auch diese Widersacher besitzen jetzt übrigens eine Levelstufe über ihren Köpfen. Nötig wäre das allerdings nicht, denn sobald man es mit einem Gegner der ein höheres Level als der Spieler-Charakter zu tun bekommt, ist man nach dem ersten Schuss tot. All das führt dazu, dass man als Spieler versucht, sich weitestgehend von Kämpfen fernzuhalten, ganz besonders wenn man auf der Suche nach irgendeinem Quest-Goal ist und das Level vielleicht mehrmals durchqueren muss. Das kommt übrigens recht regelmäßig vor, denn viele der Neben-Missionen erhält man direkt in den Levels.

Um nun endlich wieder auf die zuvor erwähnte Munition zurückzukommen: Zum einen bekommt man davon bei weitem nicht genug, sollte man sich wirklich allen Gegnern, die einem immer und immer wieder nachstellen, den Garaus machen wollen. Und zum anderen hatten die Entwickler noch eine andere, hervorragende Spieldesign-Idee. Stirbt man, startet man ein Level ganz zu Beginn, am Absetzpunkt. Und zwar mit genau der Menge Munition die man zum Zeitpunkt seines Ablebens bei sich getragen hat. Damit darf man sich erneut durch die natürlich wiederauferstandenen Nazi-Horden kämpfen. Ach, und ganz nebenbei erwähnt sollte noch werden, dass es auch keine Pause-Funktion gibt, auch nicht im Single Player Mode.

Da spielt es dann schon fast keine Rolle mehr, dass auch das Gegnerdesign sehr zu wünschen übrig lässt. Wirklich neue Gegner gibt es so gut wie keine und vor allem die Bosse sind ein Witz. Am Ende eines jeden größeren Auftrags steht ein identischer Boss, der auch schon beim ersten Mal niemanden hinterm Ofen hervorlockt. Nur der Endboss ist eine Ausnahme und kommt mit eigenem Model und Mechaniken daher, kann aber auch nicht mehr viel retten.

Nur mit meiner Schwester

Kommen wir also nun zum letzten, aber sicher nicht kleinsten, Problem von Wolfenstein: Youngblood. Das auf 2-Spieler Co-Op ausgelegte Game funktioniert im vorgesehenen Modus, also mit zwei menschlichen Spielern, an sich ganz gut, auch wenn es schade ist, dass man nur online auf die Nazi-Jagd gehen kann. Ein Split-Screen Mode fehlt. Zudem scheint man im besetzten Paris generell nur im Doppelpack unterwegs zu sein, denn jede zweite Tür lässt sich nur durch das simultane aktivieren von Schaltern öffnen. Selbes gilt freilich auch für Aufzüge, Computer und sogar manche Kisten. Trotzdem, zu zweit spielt sich die Sache (wenn man von allen oben genannten Problemen absieht) noch am besten und spaßigsten. Außerdem muss dann doch lobend erwähnt werden, dass mit der knapp 10 Euro teureren Deluxe Edition auch ein Buddy-Pass enthalten ist, so dass ein Spiel reicht um mit seinem besten Gamer-Kumpel auf die Jagd zu gehen.

Ganz traurig sieht die Sache allerdings aus, wenn man versucht Youngblood allein, mit einer KI-Schwester zu spielen. Die ist nämlich so schlecht, dass man annehmen könnte, die Jungs von nebenan die Fallout 76 programmiert haben, hätten sie beigesteuert. Anstatt den Raum zu nutzen, klebt einem der KI-Partner ständig am Hintern und nervt mit wenig komischen oder sinnvollen Kommentaren. Es sei denn man braucht ihn mal, um eine Tür zu öffnen oder um einen zu heilen, sollte man mal hilflos auf dem Boden liegen, dann ist das Schwesterherz nirgends aufzufinden. Man kann sie in solchen Fällen zwar zu sich rufen, kommen tut sie aber nur an ganz besonderen Tagen. Ganz abgesehen davon buggt die KI manchmal unvermittelt komplett, was dazu führt, dass die Dame einfach nur noch dasteht und mit einem dümmlichen Ausdruck im Gesicht darauf wartet abgeschossen zu werden. Vor allem das nur in Ausnahmen funktionierende gegenseitige Wiederbeleben, in Kombination mit der völligen Abwesenheit von Rücksetzpunkten innerhalb der Level, macht den Single Player Modus mehr oder weniger unspielbar.

Das Licht am Ende des Tunnels

Für den Schluss habe ich mir das einzige Lob aufgehoben, das ich mir zu Youngblood abringen kann. Es sieht tatsächlich richtig gut aus und hört sich genauso gut an. Auch wenn keine wirklichen Verbesserungen gegenüber The New Colossus zu erkennen sind, ist die Grafik sowohl technisch wie auch rein visuell weiterhin mehr als nur herzeigbar. Detailliert, schön anzusehen und vor allem flüssig vom Anfang bis zum Ende. Da wundert es umso mehr das ausgerechnet die vorberechneten Zwischensequenzen immer wieder mal ganz leicht ins Stocken kommen – und das auf einer PS4 Pro. Umgebungs- und Waffensound sind ebenfalls sehr gut gelungen, was aber sicher daran liegt, dass man so gut wie alles direkt aus dem letzten Spiel übernommen hat. Neue Waffen gibt es soweit ich das feststellen konnte keine. Auch sonst sind mir keine besonderen neuen Geräusche aufgefallen, die es nicht schon in der Vergangenheit gab. Der Soundtrack hat seine Höhen, vor allem wenn er versucht, mit einer Mischung aus modernem Synth-Wave und klischeehaftem Deutsch-Pop den Sound von Nazi-beeinflussten 80er Jahren zu definieren. Dazwischen hält sich die Musik eher zurück und bietet gewohntes. Erwähnt sollte noch werden, dass mit Wolfenstein: Youngblood erstmals ein Spiel der Reihe auch hier im deutschsprachigen Raum in der unzensierten, alle Namen und Symbole enthaltenden, internationalen Version erhältlich ist – getestet haben wir aber die zensierte, deutsche Version.

FAZIT

Ich bin geneigt Wolfenstein: Youngblood als Totalschaden zu bezeichnen, auch wenn das vielleicht ein bisschen zu harsch wäre. Doch zumindest im direkten Vergleich zu seinen Vorgängern ist das Game eine herbe Enttäuschung. Ganz abgesehen vom nahezu unspielbaren Einzelspieler-Modus, macht es einfach nach den ersten beiden Stunden keinen Spaß mehr in den immer gleichen Leveln die immer gleichen Gegner zu killen. Dazu kommt dass die Sache auch nicht von einer interessanten Story abgefangen wird und es zeitweise wirklich schwer fällt, die Hauptakteure und ihr Gehabe zu ertragen. Ich wüsste wirklich nur zu gerne, was die Entwickler hierbei geritten hat und was sie auf die Idee gebracht hat, all diese Änderungen an einem bestens funktionierenden Konzept vorzunehmen.

Was ist Wolfenstein: Youngblood? Co-op Shooter im Wolfenstein-Universum, angesiedelt im Nazi-besetzten Paris der 80er.
Plattformen: PC, PS4, XBox One, Nintendo Switch
Getestet: PS4 Pro
Entwickler / Publisher: Machine Games, Arcane Studios./ Bethesda
Release: 26.Juli 2019
Link: Offizielle Webseite

Gesamtwertung: 5.6

Einzelwertungen: Grafik: 8 | Sound: 8 | Handling: 4 | Spieldesign: 4 | Motivation: 4

Passende Beiträge

Flint: Treasure of Oblivion im Test

ANTONBLAST im Test

The Spirit of the Samurai im Test