World of Warcraft: Classic im Test

Kaum eine andere Ankündigung Blizzards ließ die Gefolgschaft von World of Warcraft so emotional werden wie diese: „Alles auf Anfang. Classic kommt. Wir kehren ins alte Azeroth zurück.“ Da ich erst mit Ende des Addons Wrath of the Lich King im Jahr 2010 meine ersten Fußstapfen in Azeroth tätigte, wusste ich: das muss ich spielen. So viele Gerüchte, so viele Gruselgeschichten, und so viel Liebe wurde der Ur-Form des MMORPG-Vorreiters von Fans entgegengebracht. Es wurde Zeit, herauszufinden, was dahintersteckt!

Ob es Mitspieler in der Gilde waren, Fremde im Forum, oder auch ein einzelner, aber doch stets präsenter Zwerg am Dach des Auktionshauses in Orgrimmar – sie alle hatten eines gemeinsam: ihre Liebe für das ursprüngliche „Vanilla-WoW“, gepaart mit schier unendlicher Abneigung, wenn nicht sogar einer Form des Hasses, auf die aktuelle Version von World of Warcraft. Kaum ein Tag vergeht in der Welt der Kriegskunst, ohne nicht einem Fan der ersten Stunden zu begegnen. World of Warcraft: Classic ermöglicht es nun, in das Azeroth aus dem Jahre 2006 zurückkehren, zum damaligen Patchstand 1.12.

Ich konnte dies nie ganz nachvollziehen. Man kämpft da doch nur ewig gegen einzelne Mobs, läuft sich die Beine wund, und kann sich nichts leisten. Was soll daran bitte TOLL sein? Ich wusste also sofort, es liegt an mir, die Mythen und Gerüchte ab Release aufzudecken, und zu sehen, was es mit der rosaroten Brille wirklich auf sich hat.
Und tatsächlich: ich wurde von World of Warcraft: Classic wirklich positiv überrascht.

Helden, es ist Zeit, in die Heimat zurückzukehren!

Weg mit dem Stress – alles wird langsamer

Sofort beim ersten Einloggen in World of Warcraft: Classic erkannte ich eines: hier ticken die Uhren langsamer! Man hat keine schier unendliche Manaleiste zur Verfügung, und muss auch als Priester die Kobolde, nach dreimal zaubern mit dem Stab vermöbeln. Gleichzeitig leben die Gegner länger, und teilen aber auch bereits in den ersten Levelstufen gut Schaden aus. Doch genau dadurch fühlen sich selbst zahme Kobolde wie starke, tödliche Gegner an. Bin ich in meiner bisherigen „WoW-Laufbahn“ noch nie vor einem Mob wirklich geflohen, ertappte ich mich im Westfall gleich einige Male dabei, gar panisch schreiend vor den grausamen Murloc-Armeen am Strand zu fliehen.

Classic steht damit in starkem Kontrast zu der aktuellen WoW Version, in welcher alles immer noch schneller, noch höher, noch weiter funktionieren soll. Man braucht viel Geduld, speziell durch den aktuellen Ansturm tausender Spieler. Einige Plätze sind komplett überfarmt – und man freut sich über jeden, für sich markierten Mob, wie ein Kleinkind auf Weihnachten. So ein Erlebnis hatte ich in BFA selten, teilt man sich hier doch alle Gegner mit der eigenen Fraktion.

Spätestens bei der ersten, rot gekennzeichneten Elite-Quest ist dann auch klar: hier kommt man nicht alleine weiter – Gruppen müssen gebildet werden! Und anstatt in hohem Tempo durch Instanzen zu jagen, heißt es gemächlich Questgebiete zu Fuß zu bereisen, und dabei nach langer Zeit die Welt mal wirklich wieder richtig zu erkunden. Questziele werden ohne externe Add-Ons nicht auf der Karte angezeigt, und müssen mit der reinen Hilfe des Questtextes gesucht werden.

Selbst jeder noch so „kleine“ Feind wird unseren unbeholfenen Helden in Classic wieder richtig gefährlich!

Setz dich zu uns ans Lagerfeuer, erzähl von deinen Abenteuern! – die Community

Bei allen Lobeshymnen auf „Vanilla-WoW“ gab es eine Sache, der ich mir als unwissende Außenstehende stets viel zu sicher war: die Community von damals zurückbringen? Das kann doch nicht funktionieren. In Battle for Azeroth werde ich ja schon fast aus der Gruppe gekickt, wenn ich auch nur wage, in einer Gruppe zu grüßen. Das muss der Nostalgie geschuldet sein. Doch bei keinem anderen Punkt, hatte ich mich so geirrt wie hier – und erkannte auch erstmals, warum!

In Classic wurde von Tag 1 an gegrüßt, und von Unbekannten gebufft. Wenn jemand sah, dass sich die kleine Priesterin mal wieder mit gar drei Gnollen auf einmal übernommen hat, kamen mir bisher fast immer andere Spieler zu Hilfe, um mich vor dem Geisterheiler zu bewahren. Ich war schockiert! Wo hatten sich diese ganzen, freundlichen Kreaturen in den letzten Jahren versteckt?

Doch im Laufe des Levelns wurde mir eines klar: in Classic geht es nicht allein. Da stößt man schnell an seine Grenzen. In Battle for Azeroth ist es schlicht nicht mehr notwendig, einander unter die Arme zu greifen. Platz in den Taschen ist dank komfortabler Stack-Größen immer genug, manche Klassen schnetzeln mit AOE-Skills auch 20 Mobs auf einmal weg. Für Dungeons oder auch Raids reicht es, einen Knopf im Browser zu drücken, um Mitspieler am Silbertablett präsentiert zu bekommen. Doch in Classic ist man auf Kommunikation angewiesen, um auch in der offenen Welt zurecht zu kommen – und das gefällt mir unglaublich gut. Erst in diesen Momenten erkennt man, wie sehr das Miteinander die letzten Jahre fehlte – sollte dies doch eigentlich das Herzstück eines MMORPGs sein.

In World of Warcraft: Classic ist es gleichzeitig auch erneut nur möglich, mit direkten Spielern des eigenen Servers zusammen zu spielen. Es gibt keine Funktion, sich realmübergreifend zu helfen. So kennt man die anderen Mitspieler auch mit der Zeit beim Namen, und baut sich einen richtigen Ruf auf. Wer anderen hilft, wird auch selbst gerne wieder mitgenommen. Wer sich jedoch selbst der Nächste ist, wird es auf Dauer zu spüren bekommen. Denn es ist definitiv kein guter Ton alle grünen Items aus der Gruppe zu erwürfeln, ein paar Mobs ranzupullen, und uns dem sicheren Tod zu überlassen – lieber Zwerg namens Fetterhobbit! Wir werden uns wiedersehen!

Allianzen wollen geschmiedet werden, um auch mächtige Feinde zu besiegen!

Von Bugs, Features, und fehlenden Pixel – die Grafik und mehr

Wie so oft, wenn Nostalgie im Spiel ist, erinnert sich der Mensch aber dennoch lieber an die guten Seiten von eigenen Erfahrungen. So auch bei World of Warcraft. Vieles funktionierte damals schlichtweg noch nicht richtig, und manche Spieleinstellungen verhielten sich seltsam. So haben Tauren beispielsweise passend zu ihrer Körpergröße auch eine etwas größere Hitbox, Elite-Questgeber sind überhaupt nicht auf der Karte eingezeichnet, und die bösen Murlocs attackieren dich schon von weiter Ferne. Manche Sammelquests im Sumpfland muss man dreimal annehmen bis sie funktionieren, und die Kamera kann nur bis zu einem gewissen Grad wirklich eingestellt werden. Diese Liste kann wirklich ewig weitergeführt werden – an manche Eigenheiten muss man sich definitiv gewöhnen, und ich kann verstehen, wenn es speziell anfangs, Frustration unter den Spielern auslösen kann.

Mit World of Warcraft: Classic kam natürlich auch die Grafik aus dem Jahr 2006 zurück auf die heimischen Bildschirme. Obwohl man dieser ihr Alter durchaus anmerkt, hat sie jedoch in meinen Augen nur wenig von dem ursprünglichen Charme verloren. Da es in Classic noch einen richtigen Tag-Nacht-Zyklus gibt, erkennt man auch wirklich Unterschiede im Licht der Umgebung – und die Sonnenuntergänge wirken intensiv und wunderschön. Gleichzeitig bietet Blizzard die Möglichkeit in den grafischen Einstellungen zwischen der „richtigen“ Classic Grafik und einer verbesserten Version zu wechseln, in welcher beispielsweise mehr Wasserdetails enthalten sind, und sich das Gras schön mit dem Charakter mitbewegt.

Der chaotische Launch trotz Blizzards Erfahrung

Bei all der Erfahrung von Acitivision Blizzard, hätte man eigentlich einen wirklich entspannten Launch von World of Warcraft: Classic erwarten können. Bereits im Vorfeld wurde jedoch im Forum schon heiß diskutiert, Blizzard würde viel zu wenige Server zur Verfügung stellen – der Ansturm werde gewaltig. Zu Release am 27. August zeigte sich – die Kritiker sollten in dieser Frage definitiv Recht behalten. Allein die Realms für die deutschsprachige Gemeinschaft wurden mittlerweile von anfangs zwei, auf nun acht Stück hochgeschraubt. Trotzdem sind diese in den Abendstunden mit „Hoch“ oder gar „Voll“ markiert. Laut Blizzards eigenen Aussagen hat selbst ein Realm mit Kennzeichnung „Niedrig“ bereits mehr Ressourcen als ein damaliger Vanilla-Server überhaupt. Die Folge sind bis heute Warteschlangen, die sich von einigen Minuten bis hin zu mehreren Stunden ziehen können.

Um euch einen kleinen Einblick in den chaotischen, aber auch gleichzeitig wirklich lustigen Start von World of Warcraft: Classic zu geben, habe ich euch einen kleinen Einblick mitgebracht. Ob richtige Schlangen im Spiel, damit jeder den Kopf eines NPCs bekommt, oder einfach der riesige Ansturm direkt am 27. August in der Nacht:

Wie es nun mit Classic weitergeht – der 6-Phasen-Plan

Bereits im Vorfeld hatte Blizzard angekündigt, nicht alle Inhalte in World of Warcraft: Classic zum gleichen Zeitpunkt freizuschalten. Es soll somit eine möglichst detailgetreue Nachbildung des damaligen Patchverlaufes erfolgen. Dazu wurde der Inhalt in sechs Phasen aufgeteilt:

  • Phase 1 (Release von WoW Classic): Der Geschmolzene Kern, Onyxia und Maraudon
  • Phase 2: Düsterbruch, Azuregos (Weltboss), Kazzak (Weltboss)
  • Phase 3: Pechschwingenhort, Dunkelmond-Jahrmarkt, Dunkelmond-Karten
  • Phase 4: Zul’Gurub, Grüne Drachen (Weltenbosse)
  • Phase 5: Start des Ahn’Qiraj-Eröffnungsevent, je nach Fortschritt werden die Raids von AQ freigeschaltet, Beute aus Dungeons wird angepasst: T0,5-Ausrüstung aus Dungeons, Relikte, Änderungen an Beuteraten und -orten.
  • Phase 6: Naxxramas, Geißelinvasionen

Bisher gibt es noch keine Informationen, in welchen zeitlichen Abständen die einzelnen Phasen es auf den Server schaffen werden. Bereits jetzt gibt es erste Hardcore-Spieler, welche Ragnaros und Onyxia getötet haben. Doch für den Großteil der Spieler ist aktuell definitiv der Weg das Ziel – und Level 60 noch in weiter Ferne!

FAZIT

In World of Warcraft: Classic fühle ich mich seit vielen Jahren wieder wie ein kleiner, unbedeutender Abenteurer. Ich bin nicht mehr die mächtige Titanentöterin, sondern helfe dem einfachen Volk – und es macht mir erstaunlich viel Spaß. Ich genieße es sehr, mit den Spielern um mich herum intensiv zu interagieren, und die Welt wirkt per Fuß erkundet wirklich riesig. Ich musste mir des öfteren eingestehen, dass die zahlreichen RPG-Elemente mir im aktuellen Addon einfach fehlten. Gleichzeitig gab es aber auch einige frustrierende Momente – sei es durch Bugs, oder Questtexte, welche nicht klar zeigten, wo man nun eigentlich hinlaufen sollte.

Alles in allem bin ich jedoch wirklich begeistert, und man wird mich in der nächsten Zeit sehr viel im alten Azeroth antreffen. Jeder Fan der Welt der Kriegskunst sollte Classic wenigstens einen kleinen Besuch abstatten, um das Gefühl der Spielwelt zu erleben. Es fühlt sich an wie heimzukommen – Heim in eine altbekannte Welt, in der für Classic-Neulinge doch vieles anders ist.

Die Zukunft wird zeigen, in welche Richtung sich das World of Warcraft Franchise allgemein entwickeln wird. Wird ein zukünftiges Addon ein, zwei Pluspunkte aus World of Warcraft: Classic übernehmen, und wieder zu den Wurzeln der Geschichte zurückkehren? Oder wird Blizzard verstärkt darauf setzen, zwei wirklich stark unterschiedliche Versionen des Spiels zu bedienen, um somit möglichst viele Spieler anzusprechen? Ich bin gespannt, welchen Weg die Entwickler gehen werden, welche hohen Entscheidungen hier getroffen werden. Bis dahin erwarte ich gespannt die Blizzcon 2019.

Was ist World of Warcraft: Classic? Das alte Azeroth aus dem Jahr 2004 kehrt dorthin zurück, wo damals das ganze World of Warcraft seinen Anfang nahm.
Plattformen: PC
Getestet: auf PC, Intel Core i7-2600K, 16GB RAM, NVIDIA GTX 1080
Entwickler / Publisher: Activision Blizzard / Activision Blizzard
Release: 27. August 2019
Link: Offizielle Webseite

Gesamtwertung: 0.0

Einzelwertungen: Grafik: 0 | Sound: 0 | Handling: 0 | Spieldesign: 0 | Motivation: 0

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