WRC 8 im Test

Die offiziellen WRC Spiele hatten es seit jeher schwer: Obgleich selten wirklich “schlecht”, schafften sie es doch nie aus dem Schatten der übermächtigen Codemasters-Werke hervorzutreten. Das galt insbesondere für die letzten drei Teile aus der Feder der französischen Spieleschmiede Kylotonn. Jahr für Jahr mühten sie sich chancenlos durch den staubigen Windschatten der DiRT-Titel. Doch nun, 2019, nach einem Jahr kreativer Auszeit in Sachen “jährlich neue Version”, setzen sie zum Überholen an.

Richten soll es neben einer neuen Engine, verfeinerter Fahrphysik und fettem Umfang vor allem der neue Karrieremodus … nebst dem obligatorischen USP: der Original-Lizenz aller aktuellen WRC-Serien, versteht sich. Je nach eigenem Selbstbewusstsein startet man hier entweder in der Klasse frontgetriebener Rennsemmeln (Junior-WRC) oder schon recht potenter WRC2-Boliden in den Rennzirkus und wird dabei gleich mal mit dem Management des kompletten Teams beauftragt. Da will der Terminkalender zwischen den obligaten Rallyes je nach Verfügbarkeit mit Trainingsessions, Ruhetagen oder Sonderveranstaltungen gefüllt, oder aber das Team mit seinen nach und nach freischaltbaren Professionen (vom Meteorologen und Physiotherapeuten bis zum Mechaniker und Manager ist alles dabei) verwaltet werden. Außerdem heißt es regelmäßig die eigenen Mails zu checken, bzw. auch auf einzelne zu reagieren (Rechnungen zahlen z.B.) und in einem komplexen Talentbaum die gesammelten Erfahrungspunkte in die Weiterentwicklung eures Rennstalls zu investieren.

Viel hilft viel

Gleichzeitig gilt es aber natürlich auch auf der Strecke abzuliefern. Damit wird nicht nur Geld verdient, sondern auch das eine oder andere Missions-Ziel hoffentlich erfüllt, das den Ruf bei eurem Hersteller ebenso beeinflusst wie die Moral in eurem Team. Ihr seht also: Der Karriere-Modus ist durchaus komplex. Und das ist gut so. Denn immerhin ist auf diese Weise genug Tiefgang vorhanden um einen für Stunden um Stunden ans virtuelle Lenkrad zu fesseln.

Apropos Lenkrad: Auch in Sachen Autos wird genug Abwechslung geboten. Nicht nur steht euch der Kader des mittlerweile ja recht überschaubar gewordenen WRC-Portfolios zur Verfügung, sondern glücklicherweise auch die komplette Auswahl an Autos und Fahrern der WRC2 (also R5-Wagen), der Junior-WRC und noch einiger Bonus-Autos wie dem legendären Lancia Stratos.

Auch in Sachen Strecken hat WRC 8 eine Menge zu bieten: Alle Rennen und Etappen der aktuellen WRC-Saison (14 Länder und über 100 Stages) sind eins zu eins ins Spiel übertragen worden und sorgen somit für äußerst abwechslungsreiche Pisten, über die ihr die unterschiedlichen Boliden jagen dürft. Der Haken: Leider schwankt der Detailgrad bzw. die Detailverliebtheit stark, mit der bei der Virtualisierung der Pisten zu Werke gegangen wurde. Während manche Rallys also mit überaus schicken Umgebungen zu begeistern wissen, zeigen sich andere Länder arg karg.

Once more with Feeling

Doch kommen wir nun zum wohl wichtigsten Teil eines Rennspiels: dem Fahrverhalten. Hier hat Kylotonn sich keinen Schnitzer geleistet. Vom verhältnismäßig schwachbrüstigen Junior-WRC-Fiesta bis rauf zu den Kraftlackeln aus der WRC überzeugen die Autos durch die Bank mit äußerst glaubhaften Fahrverhalten. Gewichtstransfers, Fahrwerksbewegungen, sich ändernde Grip-Verhältnisse: Alles wird toll simuliert und sorgt dafür, dass die Boliden glaubhaft über die Pisten tanzen. Dabei attestiert mein Popo-Meter zwar nicht ganz die brutale Realitätsnähe eines Dirt Rally 2.0, man kommt aber verdammt nah ran.

Wem das Ganze um Spaß zu haben jedenfalls auch hier etwas zu viel des Realismus ist, der kann sich freilich mit der Aktivierung so mancher Fahrhilfen wie etwa einer Traktionskontrolle weiterhelfen. Angenehm: Schon mit einem Controller lässt sich das Spiel – auch ohne elektronische Helferlein – anständig genießen. So richtig cool wird die Sache aber freilich erst mit einem Force Feedback Lenkrad. Hier spürt man dann jeden kleinen Schlag, jede Änderung des Untergrunds und natürlich auch genau wie viel Grip die Reifen gerade aufbauen können.

Hat man all jene Faktoren mal falsch eingeschätzt, feiert das Schadensmodell seinen großen Auftritt. Auch hier kommt man zwar nicht ganz an die Zerstörung heran, die in Dirt Rally geboten wird – vermutlich aus Lizenzgründen – allerdings werden kosmetische Schäden ebenso simuliert wie technische. Von einer leicht verzogenen Lenkung bis hin zum Komplettausfall ganzer Komponenten ist alles möglich. Schafft man es mit solchen Blessuren noch ins Ziel, hat man innerhalb einer Rallye ganz streng nach dem aktuellen Reglement nach jeweils zwei Etappen 45 Minuten Zeit, alles wieder so weit wie möglich in Ordnung zu bringen. Schafft man das nicht, hagelt es Strafpunkte. Wohl dem, der da im Team-Management doch lieber etwas mehr Geld für den versiertest möglichen Mechaniker ausgegeben hat – von dem hängt nämlich ab, wie viel Zeit für welche Reparaturen tatsächlich drauf geht.

Splitscreeeeeeeen!

Noch kurz ein paar Worte zum Mehrspieler-Modus. Mangels erfolgtem Release konnten wir zum Zeitpunkt des Tests noch keine allzu ausgiebigen Selbstversuche im Mehrspieler-Teil von WRC 8 unternehmen. Allerdings stimmt der angebotene Umfang positiv: Es gibt regelmäßige Challenges, vorbereitete eSport-Turniere (inkl. Preisgeldern), die Möglichkeit Lobbies nach eigenen Vorstellungen zu erstellen und – Trommelwirbel – einen Splitscreen-Modus!!! Endlich also darf man mal wieder in einem Rennspiel gleichzeitig mit einem Freund vor ein und demselben Monitor gegeneinander antreten. Herrlich!

Technik, die begeistert?

Wie anfangs bereits erwähnt, hat Kylotonn bei der Engine anständig nachgebessert. Das eindeutige Highlight dabei: das dynamische Wetter. Selbst innerhalb einer einzelnen Rally-Etappe kann sich die Witterung von einem apokalypse-ähnlichen Sturm hin zu angenehmem Sonnenschein entwickeln. Optisch treffend untermalt mit schicken Lichteffekten, scharfen Reflexionen und zahlreichen Licht- und Schattenspielen, die sich vor allem aus einer der beiden Cockpit-Perspektiven (aus Fahrer-Sicht mit Lenkrad oder direkt hinter der Windschutzscheibe) besonders gut genießen lassen. Spätestens hier nimmt der ambitionierte Volant-Würger dann vermutlich auch respektvoll nickend zur Kenntnis, dass man sich als Fahrer selbst um das Ein- und Ausschalten der Scheibenwischer und/oder des Lichts kümmern muss. Cool.

Allerdings schafft es WRC 8 am Ende dennoch nicht den aktuellen Genreprimus aus dem Hause Codemasters technisch hinter sich zu lassen … der ja ehrlicherweise aktuell auch schon etwas angestaubt ist. Zu detailarm ist die Umgebung, zu platt sind die volumetrischen Effekte, zu stark sichtbar die LOD-Übergänge. Auch die Framerate blieb in der von mir getesteten PS4-Version (auf einer PS4 Pro) nicht so stabil, wie das bei Dirt Rally 2.0 der Fall ist.

Beim Sound muss WRC 8 ebenso etwas akustischen Staub schlucken. Zwar klingen die Motoren recht kernig, die Abmischung mit den restlichen Effekten wie dem Prasseln in den Radkästen, dem Heulen des Getriebes oder dem Knallen von Einschlägen hat aber zumindest in unserer Testversion noch nicht ganz zu überzeugen gewusst.

FAZIT

WRC 8 hat im Vergleich zu seinem direkten Vorgänger einen gewaltigen Sprung nach vorn gemacht und steht am Ende im Rennen um die Krone zum ersten Mal überhaupt als würdiger Kontrahent neben der aktuellen Iteration der DiRT-Reihe. Am Ende sorgen Patzer in der Technik-Schikane dann aber doch dafür, dass dem Herausforderer die entscheidenden Zehntel fehlen, um sich vor den amtierenden Champion zu schieben. Sei’s drum: Rallye-Fans dürfen, nein: sollten dennoch zugreifen. Nicht nur wegen der Original-Lizenz, sondern vor allem auch wegen der wirklich interessanten Karriere und dem gelungenen Fahrverhalten, das vor allem in Kombination mit dem dynamischen Wetter für viele packende Stunden hinterm Steuer sorgen kann.

Was ist WRC 8? Eine Rally-Simulation mit Original-Lizenz der Saison 2019.
Plattformen: PC, PS4, XBox One
Getestet: PS4 Pro
Entwickler / Publisher:  Kylotonn / Big Ben
Release: 06. September 2019

Gesamtwertung: 7.6

Einzelwertungen: Grafik: 6 | Sound: 6 | Handling: 10 | Spieldesign: 8 | Motivation: 8

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