WRC 9 im Test

Voriges Jahr schaffte Entwickler Kylotonn das scheinbar Unmögliche: Mit WRC 8 lieferte man ein Rally-Spiel ab, dass es tatsächlich mit DiRT Rally 2.0 aufnehmen konnte … oder es zumindest schaffte, in dessen Windschatten zu kommen. Zum eigentlichen Überholmanöver reichte es dann doch nicht. Vielleicht ja aber dieses Jahr? Mal sehen …

Für WRC 8 taten die französischen Entwickler etwas, das für Lizenz-Sportspiel-Entwickler wahrlich selten ist: Sie gönnten sich ein Jahr Pause, steckten also zwei Jahre Entwicklungsarbeit einzig und allein in WRC 8. Dementsprechend groß war der Sprung, den sie damit machen konnten. Nun erscheint WRC 9 allerdings wieder gleich ein Jahr darauf. Und das merkt man: An vielen Ecken und Enden fühlt sich der Titel mehr wie ein großes Update, denn ein echter Nachfolger an. Karriere-Aufbau, Handling und Technik blieben mehr oder minder unangetastet, nur da und dort eine kleine Stellschraube gedreht.

Sei Team-Manager und Fahrer

Dass man am Singleplayer-Teil nicht sonderlich viel geändert hat, ist aber nicht zwingend schlecht. Der war nämlich schon voriges Jahr wirklich gut und mit Sicherheit in Sachen Komplexität und Vollständigkeit der Erfahrung die virtuell beste Möglichkeit den Alltag eines WRC-Teams nachvollziehen zu können. Immerhin seid ihr eben im Karriere-Modus nicht bloß „Fahrer“, sondern auch Team-Manager. Müsst also Personal-Entscheidungen treffen, in eurem Kalender Ruhezeiten oder Events einplanen, Rechnungen zahlen und über einen einigermaßen komplexen Talentbaum die Fähigkeiten eurer Crew, Perks eurer selbst und Möglichkeiten des Teams weiter ausbauen. Wer sich den ganzen Management-Part hingegen sparen will, wird mit dem Alternativ-Modus „Saison“ glücklich werden: Hier geht’s einfach nur ums Absolvieren von einem WRC-Lauf nach dem anderen.

Das schöne hieran: Ebenso wie in F1 2020 darf die virtuelle Welt die reale hier ohne Genierer übertreffen. Während in diesem „speziellen“ Jahr 2020 nämlich aufgrund des Corona-Lockdowns und der darauffolgenden, starken Reglementierungen von Veranstaltungen nur 7 Rallys am offiziellen Kalender stehen, dürft ihr euch im Spiel in die vollen 13 für dieses Jahr geplanten Rennen werfen – inklusive der Neuzugänge Kenia, Neuseeland und Japan. Alle davon sind eine überaus angenehme Bereicherung für das Portfolio, wobei vor allem Kenia mit seinen weiten Landschaften aus der Masse der sonst sehr engen Kurse besonders hervorsticht.

Natürlich wird auch in Sachen Fahrzeugangebot die offizielle Lizenz so gut als möglich ausgenützt: Ihr dürft also nicht nur im Cockpit der WRC-Fahrzeuge, sondern auch denen aus der WRC 2, WRC 3 und Junior WRC Platz nehmen. Insgesamt 50 Teams stehen zur Wahl. Darüber hinaus haben es zahlreiche „historische“ Fahrzeuge ins Spiel geschafft. „Historische“ steht dabei deswegen in Anführungszeichen, weil darunter beispielsweise auch der Polo R WRC fällt, der von 2013 bis 2016 im Einsatz war; nicht unbedingt, was man weitläufig unter „historisch“ versteht. Die ebenfalls enthaltenen Schätze ala Lancia Fulvia, Alpine A110 Berlinette oder Audi quattro A2 entsprechen dieser Definition schon eher und sind natürlich auch fahrerisch eine ganz besondere Erfahrung.

Und das bringt uns zum Fahrverhalten: Auch dieses wurde im Vergleich zum Vorjahr kaum angefasst. Heißt: Obgleich man nicht ganz die brutale Realitätsnähe eines DiRT Rally 2.0 erreicht (der Streckenzustand etwa ändert sich nicht), wird gerade mit einem Force Feedback Lenkrad doch ein recht authentisches Fahrverhalten geboten. Mit einem Controller ist das Spiel dabei aber lustigerweise fast noch fordernder, was aber vor allem an der damit viel zu nervösen Steuerung liegt. Wer also die Wahl hat: Unbedingt das Lenkrad verwenden!

Auch das Schadensmodell ist solide, hinkt dem Konkurrenten von Codemasters aber ein kleines bisschen hinterher. So werden zwar mechanische Gebrechen in unterschiedlichsten Ausführungen und Schweren ebenso geboten wie rein optische Verformungen, sie wirken aber weniger nachvollziehbar als bei DiRT. Umso größer ist allerdings der Schrecken, den sie verströmen. Eine Rückspulfunktion gibt es hier nämlich nicht. Wer seinen Wagen mit Schwung in die Botanik wirft, kann also entweder die Etappe neustarten, oder aber versuchen doch noch eine gute Zeit ins Ziel zu retten und in der Service Area innerhalb des vorgegebenen Zeitlimits die Schäden zu beheben. Wohl dem, der hier dann in der Personal-Abteilung mehr Geld für einen guten Mechaniker ausgeben wollte; von dessen Fähigkeiten hängt nämlich ab, wie lange welche Reparatur am Ende dauert.

Übers Spiel ins echte WRC-Cockpit

Deutlich mehr getan hat sich im Multiplayer-Part des Spiels. Dieser bietet nicht nur die altbewährten Möglichkeiten des Vorgängers, wie etwa einen Splitscreen-Modus (was voriges Jahr bereits groß von mir gefeiert wurde), öffentliche und private Lobbys sowie diverse, regelmäßig von den Entwicklern aktualisierte Herausforderungen, sondern auch die neue Möglichkeit Clubs zu gründen. Hier (und nur hier übrigens), dürft ihr euch dann nach Belieben eigene Meisterschaften samt individuellem Kalender, Konditionen und Statistiken zusammenstellen. Dabei darf ein Event bis zu acht Etappen umfassen, wobei ihr für jede Etappe einzeln das Wetter, die Tageszeit, Fahrzeugklasse oder sogar die erlaubten Fahrzeugmodelle vorgeben dürft. Kommt euch bekannt vor? Ja, genau dasselbe gibt es auch in DiRT Rally 2.0. Der Haken: Während bei Codemasters diese privat organisierten Turniere auch Plattform-übergreifend stattfinden können, geht das bei WRC 9 nicht. Ärgerlich!

Cool hingegen: Diesen Dezember wird mittels kostenlosem Update das FIA Rally Star Programm nachträglich ins Spiel gepatched. Darüber könnt ihr euch in einem mehrphasigen Turnier beweisen und am Ende ein Junior WRC-Cockpit gewinnen – also den Start in eine tatsächliche Rally-Fahrer-Karriere. Ab Anfang 2021 startet die erste Qualifikationsphase, die noch für jeden und jede Spieler/in zugänglich sein wird. Die weiteren Phasen der Qualifikation sind sodann aber Gamern zwischen 17 und 26 Jahren vorbehalten; sie sind Teil des Trainings- und Coaching-Programms der FIA. Die sieben Besten, die es ins Finale schaffen – und zusätzlich die weltbeste Fahrerin – können am Ende eine internationale Karriere beginnen, bevor sie den Beitritt der FIA Junior WRC anstreben.

Technik mit Macken

Nicht nur in Sachen Gameplay, auch bei der Technik hat Kylotonn von Teil 7 auf 8 einen recht großen Sprung hingelegt. Von WRC 8 auf WRC 9 hingegen fiel er eher klein aus. Da und dort wurde ein wenig an der Beleuchtung gefeilt, so richtig „anders“ sieht das Spiel aber nicht aus. Unterm Strich bedeutet das: solide, aber nicht umwerfend. Vor allem die nach wie vor auftretenden Pop-Ups, nachladenden Texturen und diverses Geflimmer stören den Gesamteindruck. Umso weniger verständlich ist da, dass die Framerate auf den Konsolen – ja, auch auf der PS4 Pro und der Xbox One X – bei maximal 30 FPS hängen bleibt. Für ein teilweise sehr schnelles Rennspiel nicht optimal. Hier hilft nur der Griff zur PC-Version, die dafür Berichten zufolge (mir stand nur die PS4-Version zur Verfügung) aktuell noch von so manch technischen Problemen geplagt wird.

FAZIT

Es wird spannend, wie es mit WRC von Kylotonn weitergeht. Der aktuelle Teil, WRC 9, fühlt sich über große Strecken nur wie ein warmer Aufguss des zugegeben gelungenen Vorgängers an, der vor allem im Online-Teil ein paar weitere Aufhol-Manöver Richtung DiRT Rally 2.0 hinlegen kann. Am Ende bleibt aber auch WRC 9 in dessen staubigem Windschatten hängen. Das „Problem“: Die Entwickler haben die WRC-Lizenz nur noch für zwei Jahre. Ab 2023 geht diese an Codemasters über. Gut möglich also, dass es bis dahin bei „warmen Aufgüssen“ bleibt … wir werden sehen. Bis dahin ist WRC 9 jedenfalls für echte WRC-Fans sicher einen Kauf wert. Wer aber auf aktuelle Lizenzen wenig Wert legt, ist mit dem Anfang 2019 erschienenen DiRT Rally 2.0 immer noch besser dran.

Gesamtwertung: 7.6

Einzelwertungen: Grafik: 6 | Sound: 6 | Handling: 10 | Spieldesign: 8 | Motivation: 8

Passende Beiträge

Flint: Treasure of Oblivion im Test

ANTONBLAST im Test

The Spirit of the Samurai im Test