Um ehrlich zu sein hatte ich Anfang der 90er keinen Plan was bei Defender of the Crown eigentlich abging. Ich stand als kleiner Junge, der gerade in der ersten Klasse Volksschule dabei war, das Alphabet fehlerfrei aufzusagen, im Zimmer eines älteren Jungen aus der Nachbarschaft und starrte gebannt auf seinen Röhrenbildschirm. Diese Tage waren der Beginn einer Leidenschaft, die mich bis heute begleitet. Irgendwo fühle ich aber auch, dass diese Flamme in mir nicht mehr so hell leuchtet wie am Anfang.
Ich konnte, ebenso wie besagter Nachbarsjunge, kein Wort Englisch, aber die graue Kiste namens NES ermöglichte es uns, als tapfere Ritter in Turnieren anzutreten, Burgen mit Katapulten zu beschießen und Robin Hood in den Tiefen der Wälder zu treffen. Ich weiß nicht, ob wir Defender of the Crown jemals durchgespielt und Großbritannien befreit haben, aber darum ging es damals auch gar nicht. Wir tauchten für ein paar Stunden ein in eine Welt voller Abenteuer, in der wir bestimmen konnten, was geschehen sollte.
Verklärte Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit
Der Luxus einer eigenen Konsole war für mich damals noch Wunschdenken und so verbrachte ich unzählige Nachmittage bei Freunden, deren Väter zumeist in eines der neuartigen Spielgeräte investiert hatten und es uns für ein paar Stunden gnädigst überließen. Diese Stunden mussten wir auskosten, denn es wurde von den meisten Eltern streng kontrolliert, wie lange wir zockten. Schließlich sollten wir uns aus pädagogischen Gründen auch noch mit anderen Dingen beschäftigen. So war ich abwechselnd edler Ritter, verwegener Abenteurer oder furchtloser Straßenkämpfer und wurde jedes Mal mit all meinen Emotionen in fantastische Welten hineingezogen.
Weihnachten 1992 gönnte mein Vater sich und uns ein Nintendo Entertainment System. Mit der Anschaffung dieser Unterhaltungselektronik endete überraschenderweise auch die „Freundschaft“ mit besagtem älteren Jungen aus der Nachbarschaft. Ich war frei. Endlich nicht mehr darauf angewiesen, dass mir jemand den Controller überließ. Metroid, Faxanadu, Sim City. Die Stunden vergingen und ich wurde wieder einmal in die einzigartigen Welten, die sich mir boten, hineingezogen. Meine Kenntnisse der englischen Sprache hatten sich um kein Stück verbessert aber ich hatte trotzdem jedes Mal das Gefühl ich hätte eine Mission.
Heute denke ich, dass diese Faszination von zwei Komponenten genährt wurde. Zum einen war ich jung. Sehr jung. Ich war gerade noch dabei die Welt zu entdecken. Real und virtuell. Damit war ich auch leicht zu beeindrucken. Es war mir zwar nicht egal, was sich mir auf dem Bildschirm bot doch mangelte es mir am Vergleich und somit an der Möglichkeit der Kritik. Das kam alles erst viel später. Zum anderen war die damalige Technik eben alles andere als ausgereift. Das mag sich jetzt zwar negativ anhören doch in Wahrheit bot eben genau dieser Mangel den Nährboden für kreative Meisterleistungen. Entwickler und Programmierer konnten sich nicht auf bombastische Grafik und kinoreife Effekte verlassen. Die Geschichte musste überzeugen. Oder das Ambiente. Oder die Spielmechanik. Am besten alles zusammen. Dann landete man einen Volltreffer.
Einige Jahre später abonnierte mein älterer Bruder die PC Games. Er war genau wie ich von dem neu aufgekommenen Medium begeistert, verlagerte seinen Fokus mit den Jahren aber eher in die technische Richtung. Ich hingegen blieb den Spielen treu. Die monatliche Printausgabe war jedes Mal ein Highlight für mich. Ich las sie überall. Zuhause, in der Schule oder auf dem Weg dazwischen. Internet war damals noch ein Fremdwort und so waren die Hefte die einzige verlässliche Quelle um an Neuigkeiten und Eindrücke kommender Titel zu gelangen. Es war die Zeit, in der ich begann, handfeste Informationen und Fakten zu meiner Leidenschaft aufzusaugen und für immer in meinem Langzeitgedächtnis zu speichern. Die Vorfreude, die ich empfand, wenn ich Screenshots zu Die Siedler 2 oder Wing Commander Prophecy betrachtete, war beinahe grenzenlos. Letzterer Titel ist im Übrigen dafür verantwortlich, dass Mark Hamill für mich bis in alle Ewigkeit Christopher „Maverick“ Blair bleiben wird.
Eine gemeinsame Jugend
Die Jahre vergingen. Ich wechselte von der Volksschule ins Gymnasium und rückblickend betrachtet fühlt es sich so an, als ob mein jugendliches Alter in etwa mit dem Reifegrad der damals aktuellen Konsolengenerationen gleichzog. Das Medium Videospiel hatte den ihm aufgedrückten Stempel des Kinderspielzeugs weitestgehend abgelegt und die Entwickler erkannten die riesige neue Zielgruppe junger Erwachsener. Jene Gamer, die – so wie ich – als Kinder angefangen hatten und mit dem Fortschritt mitgewachsen waren. Mario und Luigi hatten ihren Job erledigt aber jetzt hatten sie ausgedient.
Mittlerweile hatten sich manche meiner Freunde – vor allem jene, die dank Lehre ihr eigenes Geld verdienten – ein eigenes Modul geleistet. Wir waren frei und nicht mehr auf die Gnade unserer Väter angewiesen. Unzählige Nachmittage wurden jetzt mit Fifa-Turnieren und Halo-Duellen verbracht. Die Lackspiegelungen auf den Boliden in Gran Turismo gepaart mit angelerntem Halbwissen über Fahrzeugtechnik waren beliebte Gesprächsthemen zwischen uns pubertierenden Jungs.
Es war auch die Zeit, in der ich merkte, dass es mich immer weniger interessierte in einem Videospiel möglichst viel zu ballern oder schneller zu fahren als alle anderen. Der Keim, den die faszinierenden Welten in meiner Kindheit gesät hatten, war zu einer kleinen Pflanze herangewachsen und diese Pflanze wollte gegossen werden. Mit Fantasie und Emotionen. Fifa konnte das nicht. Medal of Honor schon gar nicht. Metal Gear Solid, Final Fantasy und Silent Hill waren dafür schon besser geeignet.
PlayStation dank Sommerjob
Dann war es soweit. Ich hatte einen Sommerjob in der örtlichen Freibadkantine. Die Playstation rückte in greifbare Nähe. Ich weiß noch, wie ich in der Schnellbahn nach Hause saß und den Karton mit der frisch erworbenen Konsole umklammerte. Obwohl ich mich in einer ÖBB-Garnitur befand, die durch das beschauliche Niederösterreich rollte, hatte ich plötzlich das Gefühl überall potenzielle Diebe zu sehen. Um es mit Gollums Worten auszudrücken: „Mein Schaaatz.“
Apropos mein Schatz: Meine Kumpels und ich hatten mittlerweile entdeckt, dass es Prinzessinnen nicht nur in Videospielen gab. Im wahren Leben hießen sie dann eben nicht Zelda oder Peach sondern Kathrin, Lisa oder Stefanie. Mit meiner ersten festen Freundin gruselte ich mich kurz darauf durch Silent Hill und Project Zero. Sie war es auch, die gemeinsam mit mir die Spieleregale eines großen Elektronikhändlers durchwühlte und mir aus dem Bauch heraus und anhand der Screenshots auf der Packungsrückseite zu Titeln wie Primal und Legacy of Kain: Soul Reaver riet. Zwei Investitionen für die ich ihr heute noch dankbar bin. Grüße gehen raus.
Und an dieser Stelle – ich war 16 und die Jahrtausendwende stand vor der Tür – begann sich eine gewisse Ernüchterung auszubreiten. Bis zu diesem Punkt in meinem Zockerdasein hatte ich das Gefühl, ständig etwas Neues zu erleben. Ich war überzeugt, dass alles immer besser werden würde. Dass mir die fiktiven Welten für immer dieses behagliche Gefühl geben würden, irgendwie zuhause zu sein. Das taten sie aber nicht.
Ein Gastartikel von Daniel Krondraf.